Rastatt (dpa/lk) – Uhus, Bussarde, Wildenten und Schwäne tummeln sich auf dem Gelände der Wildvogelauffangstation Fingermann in Rastatt. Das Landratsamt kritisiert Mängel und droht mit einem Aufnahmestopp. Der Disput wirft die Frage auf, wie überhaupt verletzte Wildtiere im Südwesten versorgt werden?
Wenn Kevin Fingermann und sein Opa Pierre mit den Schwänen pfeifen, klingt es wie ein knappes Gespräch. Die Tiere schauen sich kurz um und fressen dann weiter Gras. Auf der Wiese der Wildvogelauffangstation Fingermann in Rastatt wirkt es an diesem Sommertag nahezu idyllisch. Jedoch hängt das Damoklesschwert eines möglichen Aufnahmeverbots über ihnen – verhängt vom Landratsamt. Seit zwei Jahren schwelt der Konflikt zwischen dem Veterinäramt und den Vogelschützern, der sich jetzt zuspitzt. Zwei Anzeigen habe es schon früher gegeben, sagt Michael Janke vom Landratsamt. Und eine Anordnung mit 18 Punkten: darunter ordentlich ausgestattete Käfige und die Auflagen, kranke Tiere zum Tierarzt zu bringen und streng geschützte Arten den Behörden zu melden. Der Aufnahmestopp solle den Fingermanns helfen, die Lage wieder zu „beherrschen“. So das Amt.
Die Fingermanns wiederum verweisen auf lange praktische Erfahrung: Als Mitarbeiter des Landratsamts habe er 1993 einen verletzten Turmfalken aufgepäppelt, erzählt Pierre Fingermann. „So fing es an. Von Jahr zu Jahr sind es dann mehr geworden.“ Allein 600 Turmfalken und 400 Mäusebussarden habe er seither geholfen. Schon an verklärten Augen eines Bussards erkenne man, dass es ihm nicht gut geht, sagt Fingermann senior. Bei Brüchen oder stark blutenden Wunden brächten sie die Tiere natürlich zum Facharzt, sagt sein Enkel Kevin, selbst gelernter Tierrettungssanitäter. „Aber wenn es nur ein kleines Wehwehchen ist, können wir das genauso.“
Für Schwäne, die im Umgang als kompliziert gelten, haben sich die Fingermanns weit über die Region hinaus einen Namen gemacht. Andere Tierstationen brächten ihnen die großen weißen Vögel. Auch Wildenten, Uhus und Falken leben unter anderem auf dem Gelände. Greifvögel in Volieren. Die anderen können munter weitgehend frei herumwatscheln, in Wasserbecken planschen oder auf der Wiese Fliegen fangen. Verletzte Tiere, aus Nestern gefallene oder geworfene Küken, aber auch völlig falsch gehaltene Vögel würden zu ihnen gebracht. Das Ziel der Fingermanns: gesund pflegen und fliegen lassen. „Wir wollen sie gerade nicht an Menschen gewöhnen“, sagt Kevin Fingermann. Und Alternativen für die Tierrettung gebe es in der Gegend keine.
Richtig erfasst werden die Einrichtungen nicht. Das Umweltministerium Baden-Württemberg verweist auf ein Gutachten aus dem Jahr 2015 im Auftrag der Landesbeauftragten für Tierschutz: Es listet 26 Vogelstationen, 4 Stationen für Reptilien, 3 für Kleinsäuger, 2 Fledermausstationen und 4 Stationen, die eine breitere Palette von Wildtieren aufnehmen, für den Südwesten auf. Hinzu kämen geschätzte 40 Igelstationen. Die Naturschutzorganisation Nabu verweist ebenfalls auf zahlreiche Privatpersonen und Initiativen wie Wildtierhilfe BW. Auch Tierheime nehmen den Angaben nach kurzfristig Wildtiere auf.
Dass die Tierheime immer öfter auch mit Wildtieren konfrontiert sind, hat auch der Landestierschutzverband festgestellt. Oft fehle es aber unter anderem an geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten, erklärt der 1. Vorsitzende, Stefan Hitzler. Dass der Bedarf zur Versorgung von Wildtieren größer ist, belegt aus seiner Sicht die Existenz eben jener Auffangstationen. „In Ermangelung öffentlicher Einrichtungen müssen die Tierschützer zur Eigeninitiative greifen und mit viel Engagement und Geld solche Stationen aufbauen und betreiben“, sagt Hitzler. „Wo es diese Stationen gibt, kann den Tieren geholfen werden. Wo es sie nicht gibt, stehen die Mitbürger, die ein hilfsbedürftiges Wildtier gefunden haben, auf verlorenem Posten.“
Allerdings gelte das seit 2002 im Grundgesetz verankerte „Staatsziel Tierschutz»“auch für Wildtiere. „Daher muss sich die öffentliche Hand an der Versorgung dieser Notfälle beteiligen und darf sich nicht darauf verlassen, dass sich irgendwo und irgendwie eine private Initiative um diese Tiere kümmert, so wie das leider aktuell der Fall ist“, kritisiert Hitzler. Wildtierstationen hätten derzeit keine rechtliche Grundlage, auf der sie die anfallenden Kosten für die Versorgung der notleidenden Wildtiere einfordern könnten. Somit seien sie auf freiwillige Spenden und Zuschüsse angewiesen. So ist es auch bei den Fingermanns: Sie lebten von Spenden und Erspartem, sagt Pierre Fingermann. Die Volieren habe er selbst gebaut, tonnenweise Nahrung über all die Jahre gekauft. Der letzte Urlaub liege schon eine Ewigkeit zurück. Kevin Fingermann erzählt, um 6 Uhr klingele sein Wecker. Weil Uhus und Eulen nachtaktiv sind, findet die letzte Fütterung nach Einbruch der Dunkelheit statt. Zudem muss er auf Außeneinsätze. Auch an Wochenenden – diese brächten die meiste Arbeit: „Da gehen die Leute raus und finden die Tiere.“
Das Umweltministerium fördert mit jährlich zusammen fast 70.000 Euro die Vogelschutzstation des Nabu in Mössingen im Landkreis Tübingen und die Greifvogelstation Bad Friedrichshall im Landkreis Heilbronn. In Einzelfällen würden andere Projekte aus dem Tier- oder Naturschutz finanziell unterstützt. Das Ministerium für ländlichen Raum wiederum fördert bei Tierheimen vor allem Baumaßnahmen. Reine Wildtierauffangstationen sind laut dem MLR definitionsgemäß keine Tierheime und brauchen deshalb im Regelfall keine Erlaubnis nach dem Tierschutzgesetz. Grundsätzlich benötigten sie unter anderem sachkundiges Personal und geeignete Haltungseinrichtungen. Seitens der Veterinärbehörde würden sie nur anlassbezogen überwacht. Über angeordnete Schließungen hat das Ministerium keine Informationen.
Wie der Konflikt um die Wildvogelauffangstation in Rastatt ausgeht, ist offen. Die Fingermanns haben einen Anwalt eingeschaltet.