Stuttgart (dpa/lk) – Nach dem Hin und Her mit den Corona-Ausnahmeregelungen am Wochenende sagen Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Sozialminister Manne Lucha leise Sorry. Verantwortlich für das Durcheinander sei vor allem die Fußball-Bundesliga, sagen sie. Das Chaos bei den neuen Corona-Regeln habe auch kein gutes Licht auf die grün-schwarze Koalition geworfen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich für das Wirrwarr bei den neuen Corona-Regeln am Wochenende entschuldigt. Die Regierung müsse unter hohem Zeitdruck Beschlüsse in Verordnungen umsetzen. Zuletzt sei es vor allem darum gegangen, die erwarteten Zuschauermassen bei Großveranstaltungen wie der Fußball-Bundesliga am vergangenen Wochenende zu verhindern. Ohne die schärferen Corona-Regeln, die erst am späten Freitagabend veröffentlicht worden waren, habe man die Fans in den Stadien nicht verbieten können. „Solche Bilder, wie wir sie gesehen haben, insbesondere in Köln, aber auch beim VfB, das war mir klar, das geht kein zweites Mal.“ Nach der neuen Verordnung gilt in Baden-Württemberg für sämtliche Veranstaltungen wie Fußballspiele oder Kultur- und Freizeitveranstaltungen eine „harte Obergrenze“ von 750 Personen.
Der Ablauf sei allerdings nicht gut gelaufen, sagte Kretschmann. „Das ist uns dieses Mal einfach verrutscht, das tut mir leid.“ Es sei immer ein Balanceakt. „Und dieser Balanceakt ist nun am Wochenende nicht gut gelungen“, räumte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart weiter ein. Er bedauere die Irritation und Verunsicherung, die da wegen der ursprünglich geplanten Testpflicht auch für Geimpfte und Genesene entstanden seien. „Dass das im Verfahren so holprig war, tut mir wirklich leid für die Betroffenen.“ Das Hin und Her hatte Kritik aus Opposition, Kommunen, Gastronomie und Handel hervorgerufen. Auch vom Koalitionspartner CDU hatte es am Wochenende Kritik gegeben.
Ursprünglich wollte die Landesregierung wegen der sich zuspitzenden Krise eine harte 2G-plus-Regel einführen, wonach nur noch Geimpfte und Genesene mit einem zusätzlichen Test etwa in Restaurants dürfen – nur Menschen mit einer Auffrischungsimpfung sollten ausgenommen werden. Doch dann machte das Land am Sonntag einen Rückzieher und nahm auch kürzlich Geimpfte und Genesene von der Testpflicht aus. Allerdings müssen Genesene nachweisen, dass die Infektion maximal sechs Monate zurückliegt. Und für Geimpfte gilt: Die zweite Impfung sollte weniger als ein halbes Jahr her sein. Kretschmann rechtfertigte die nachträglichen Änderungen in der Sache: „Die Erleichterungen waren infektiologisch vertretbar.“
Der Grünen-Politiker rügte aber indirekt auch den Koalitionspartner CDU. Aus den Reihen der Union hatte es schon am Samstag in den sozialen Medien erheblichen Druck gegeben, die ursprünglich geplante Testpflicht für Geimpfte und Genesene nochmal aufzuweichen. Der Ministerpräsident sagte dazu: „Was nicht normal ist, dass rumgepostet wird.“ Das werde noch an diesem Dienstag ein Nachspiel haben: „Das wird mit dem Koalitionspartner besprochen.“ Kretschmann schränkte aber ein: „Das waren nur wenige, die das gemacht haben.“ Er nehme nicht an, dass das die Koalition belasten würde. Es müsse jedoch möglichst ausgeschlossen werden, dass sich solche Dinge in der Zukunft wiederholten.
Allerdings hält Kretschmann eine gewisse Entspannung der dramatischen Corona-Lage noch vor Weihnachten für möglich. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir zu 2G zurückkehren“, sagte der grüne Regierungschef in einem Radio-Interview. Dafür müssten sich aber sehr viele Menschen ihre Auffrischungsimpfung holen. „Wenn sich alle boostern lassen, in dem Zeitraum, die das sollen und können, dann haben sie wieder einen vollen Schutz.“ Seine Hoffnung sei: „Wenn es ganz gut geht, dann können wir wieder wirklich zu 2G zurück, und müssen nicht auch für Geimpfte Maßnahmen machen.“ Kretschmann sagte dazu, wie Weihnachten dieses Jahr werde: „Nicht so schön, wie wir es gern hätten. Es wird wieder sehr eng werden mit wenig Leuten. Das müssen wir ertragen. Ich hoffe, dass es wieder besser ist an Weihnachten wie jetzt.“
Weiterhin hat der Regierungschef den Menschen versprochen, dass sie nach Ende der Corona-Pandemie alle ihre Bürger- und Freiheitsrechte selbstverständlich zurückbekommen. Kretschmann sagte in einer Radiosendung: „Ich verspreche den Bürgerinnen und Bürgern: Wenn das rum ist, dann wird es wieder ganz normal.“ Das Regieren über Schutzverordnungen bleibe eine Ausnahme, sagte er. „Als Politiker heilt uns das von einem sicher: Das heißt Durchregieren. Da haben Sie keinen Bock mehr drauf.“ Wenn der „Schlamassel“ vorbei sei, werde er froh sein, den politischen Kurs wieder mit den Bürgern auszuhandeln. Der Ministerpräsident räumte ein, dass er sich nach 20 Monaten Pandemie manchmal selbst zurücknehmen müsse – „dass man nicht in ein Fahrwasser kommt, das sei nun die Politik“.
Die Schließungen der Corona-Impfzentren im Sommer hatte Kretschmann verteidigt. Dort seien nur noch „eine Hand voll Leute“ hingegangen. „Da kann man doch nicht solch eine gigantische Infrastruktur machen“, sagte er im Radio. Das Angebot sei heute mit mobilen Impfteams und kleineren Impfstützpunkten in den Kommunen viel flexibler. Der Regierungschef äußerte sich zudem bestürzt über die hohe Zahl ungeimpfter Menschen in Baden-Württemberg. „Das beschwert mich unglaublich, dass so viele Leute einem Eigensinn nachgehen, der rational nicht mehr erklärbar ist“, sagte er. Kretschmann widersprach auch dem Argument, Impfen sei Privatsache und der Staat habe eine Ablehnung zu akzeptieren: „Das ist nicht so. Der Ungeimpfte gefährdet auch andere, indem er sie einfach ansteckt.“ In diesem Zusammenhang plädierte Kretschmann erneut für eine Impfpflicht. „Das sind tiefe Eingriffe in Grundfreiheiten“, sagte er. Das Virus wandle sich so sehr, dass kein Weg mehr daran vorbeiführe, „sonst kommen wir aus dem Schlamassel nie raus“.