Region (lea) – Mehr Teilhabe und Sichtbarkeit für Beeinträchtigte. Dieses Ziel verfolgt die Kampagne „Wir wachsen zusammen“ von der AWO Karlsruhe. Zudem soll das AWO-Haus Spielberg saniert und neu gebaut werden. Denn dort leben aktuell 23 schwerst-mehrfachbehinderte Menschen. Obwohl das Haus gar nicht behindertengerecht gebaut wurde. Die Flure zu eng, die Regale zu weit oben – die fehlende Barrierefreiheit beeinträchtigt die Selbstständigkeit der Bewohner. Das soll sich jetzt ändern.
In den 1970ern als Sportbegegnungsgaststätte gebaut, beherbergt das AWO-Haus Spielberg am Ortsrand der Gemeinde Karlsbad-Spielberg heute 23 schwerst-mehrfachbehinderte Menschen. Jetzt soll das Haus umgebaut werden. Auch ein vollkommen neuer Wohntrakt soll innerhalb der nächsten zwei Jahre entstehen.
Denn die idyllische Einrichtung hat eine nicht übersehbare Schwäche: Es ist zwar die Heimat für Schwerstbehinderte, aber nicht behindertengerecht gebaut. Viel zu kleine Zimmer für Rollstuhlfahrer, die Küchenschränke hängen unerreichbar in luftiger Höhe und außerdem sind die langen Gänge zu eng. Ein Rollstuhlfahrer muss aufwendig rückwärtsfahren, wenn ihm ein anderer entgegenkommt.
Das muss sich dringend ändern, finden auch die Verantwortlichen der AWO. Noch Ende des Jahres soll der Spatenstich für einen Neubau erfolgen. „Diesen kann man sich wie ein Mehrfamilienhaus vorstellen. Es wird eine eigene Klingel und einen eigenen Wohnbereich für jeden geben. Wenn der Bau fertig ist, schließt sich die Sanierung des Altbaus an“, erläutert Melanie Mager, die Einrichtungsleiterin des Hauses Spielberg, enthusiastisch. Ein neues Gebäude nur zum Wohnen, das sei überfällig. Denn derzeit würden öffentliche Aktionen quasi „im Wohnzimmer“ der Bewohner der Einrichtung stattfinden. Der Neubau soll die Privatsphäre der Bewohner besser schützen.
Björn Huber ist freier Architekt und kümmert sich in Spielberg darum, dass der Begriff „Barrierefreiheit“ auch Realität wird. Er habe schon viele nicht barrierefreie Gebäude und Wohnungen gesehen, erklärt Huber. Denn seit den 80er-Jahren hat er sich die Reduktion von Hindernissen für Beeinträchtigte auf die Fahne geschrieben.
Die Liste der Dinge, die im Haus Spielberg bautechnisch verbessert werden sollen, ist lang. „Aber generell wollen wir den Bewohnern einen möglichst hohen Lebensstandard durch Selbstständigkeit ermöglichen“, sagt der Architekt. Ob er der Barrierefreiheit des Altbaus in Spielberg eine Schulnote geben könnte? Huber zögert kurz. „Also“, beginnt er und seufzt, „also eigentlich wäre das eine Sechs.“ Die Herausforderungen gehe man jetzt aber schließlich an.
Der Neubau und die Sanierung stehen im Zeichen der AWO-Kampagne „Wir wachsen zusammen“. Durch sie soll gelebte Inklusion gestaltet werden. Aber was genau heißt das? „Für mich bedeutet gelungene Inklusion, dass die Rahmenbedingungen sich an den Menschen anpassen“, erklärt Mager prompt. „Unsere Umwelt müsste viel barrierefreier sein. Im Moment leben wir eher in einer Gesellschaft, wo sich der Mensch an die Rahmenbedingungen anpassen muss.“
In Spielberg zeigt sich vor der Haustür, wie Inklusion nicht aussehen sollte: „Wir haben keine öffentlichen Verkehrsmittel in unserer Nähe. Zu denen müssen wir 20 Minuten hinlaufen“, sagt die Einrichtungsleiterin und lächelt gequält: „Und dann können wir nicht einsteigen, weil die Bahn nicht barrierefrei ist.“ Übrigens, merkt sie an, gebe es auch keine Busse, die in ihrer Nähe halten würden.
Die Kampagne soll auch für mehr Sichtbarkeit sorgen. „Es soll normal sein, wenn Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses Spielberg auf dem Markt in Langensteinbach einkaufen. Oder, dass sie in der Gastronomie einkehren. Einfach, dass sie im täglichen Leben präsent sind“, führt der Geschäftsführer der AWO Karlsruhe, Markus Barton, aus.
In Bezug auf die Sichtbarkeit gebe es nämlich noch viel Potenzial, findet auch Mager: „Menschen mit Behinderung stellen leider immer noch eine Randgruppe dar. Aber die Behinderung spricht ihnen keine Kompetenz ab. Sie sind genauso Mitglied der Gemeinschaft“, betont sie mit Nachdruck.
Zu mehr Teilhabe beeinträchtigter Menschen kann jeder etwas beitragen. Davon ist die Einrichtungsleiterin überzeugt. Anfängliche Unsicherheiten seien aber normal „und auch völlig in Ordnung“. Mager rät, ohne Scheu auf beeinträchtigte Personen zuzugehen. „Für diese Menschen ist es angenehmer, wenn man sie anspricht, anstatt nicht nachzufragen“, sagt sie. Oft würden Behinderte bei der Begegnung verkindlicht, teilweise unterbewusst. „Dass sich die Stimmlage verändert im Gespräch mit ihnen, das erlebe ich oft. Aber das ist nicht nötig, man kann ganz normal ins Gespräch reden“, so Mager. Denn nur durch Austausch und Begegnung können Berührungsängste abgebaut werden.
Bis der Neubau steht und die Regale im Altbau für alle Bewohner erreichbar sind, haben die Verantwortlichen der AWO noch einiges zu tun. Ganz nebenbei muss auch noch eine Finanzierungslücke von 2,5 Millionen Euro im Projekt geschlossen werden. „Da sind aber nicht nur Spenden und Sponsoring mit drin, sondern auch Fördergelder, die es vom Land, der Kommune und vom Bund gibt“, ordnet Geschäftsführer Barton ein. Diese Mittel gelte es jetzt zu akquirieren. Damit die Bewohner im AWO-Haus Spielberg sich in einigen Jahren nicht mehr über zu enge Gänge und unpraktische Zimmer beschweren müssen.