Rastatt/Bühl (dpa/lk) – Der Skandal um Ackerland, das mit dem Umweltgift PFC verunreinigt wurde, ist ein Dauerthema für Mittelbaden. Es geht um Verantwortung, Geld und mögliche Sanierung. Eine Zivilklage der Stadtwerke Rastatt gegen den mutmaßlichen Verursacher wird demnächst verhandelt.
Bagger stehen auf lehmigem Gelände in Bühl und schaufeln Erde. Nicht irgendeine Erde, sondern mit dem Umweltgift PFC verseuchter Boden in unmittelbarer Nähe des Wasserwerks Balzhofen. Das gesundheitsschädliche Gift – PFC steht für per- und polyfluorierte Chemikalien, die in der Natur praktisch nicht abbaubar sind – soll bis 2008 durch einen Kompostunternehmer auf Felder in Mittelbaden gebracht worden sein. Spuren von PFC finden sich mancherorts auch im Grundwasser. Nun hat die Gemeinde eine Sondergenehmigung bekommen, die Erde abzutragen und auf ein wenige Kilometer entferntes und ebenfalls stark PFC-belastetes Gebiet zu transportieren.
Dort wird der Aushub nach unten hin versiegelt, damit nichts ins Grundwasser gelangt – dann zwischengelagert und bis 2025 in den Boden eingebaut, sagt ein Stadtsprecher. Später wird ein Gewerbegebiet daraus. Das Projekt ist ein klitzekleiner, allerdings 1,5 Millionen teurer Befreiungsschlag in einem riesengroßen Umweltskandal, der die Region seit vielen Jahren beschäftigt. Weitere Befreiungsschläge stehen an – ob damit Treffer gelandet werden, ist völlig offen. So ziehen die Stadtwerke Rastatt am 14. März mit einer millionenschweren Zivilklage gegen den mutmaßlichen Verursacher zu Felde. Ein erster Gerichtstermin vor einem knappen Jahr wurde im Zuge von Corona abgesagt.
Rund 6,5 Millionen Schadenersatz soll der Kompostunternehmer nach dem Willen der Stadtwerke zahlen – denn die hatten unter anderem eines ihrer Wasserwerke wegen der PFC-Verunreinigungen stilllegen müssen und viel Geld in Filteranlagen investiert. Hinzu käme nach Worten der Klägerin Ersatz für künftige Kosten wegen PFC. Selbst wenn die Stadtwerke den Prozess gewinnen – ob der Unternehmer solche Summen bezahlen kann, ist alles andere als gewiss. Er möchte im Vorfeld des Prozesses erstmal nichts mehr dazu sagen, teilt er auf Anfrage mit.
Auch die Gemeinde Hügelsheim im Kreis Rastatt ist im Rechtsstreit mit dem Unternehmen. Das Verfahren befinde sich weiter in der Beweisaufnahme, Gutachten fehlen, so eine Sprecherin der Gemeinde. Solange bis Urteile in beiden Prozessen fallen, will Bühl noch mit einer eigenen Schadenersatzklage warten. „Sollten die Kläger hier erfolgreich sein, würden auch wir eine Klage anstrengen“, sagte der Bühler Stadtsprecher.
Denn grundsätzlich sind PFC-Sanierungen ein teurer Spaß. Würde man etwa alle rund 1.200 von den Verunreinigungen betroffenen Hektar Land in Mittelbaden abbaggern – die Kosten wären astronomisch und für niemanden zu stemmen. Das Land sieht sich nicht in der Pflicht. Erst im August vergangenen Jahres hatte es erneut Finanzhilfen für Sanierungen abgelehnt. Rechtlich gelte das Verursacherprinzip, so auch die am Regierungspräsidium Karlsruhe angesiedelte Stabstelle PFC. Saniert wird daher, wenn überhaupt, nur stellenweise, in ganz kleinen Schritten und letztlich auf Kosten des Steuerzahlers.
Im Landkreis Rastatt liegen nach den Worten der Stabstelle weitere Anträge vor, belastete Flächen überbauen zu dürfen. In Hügelsheim sei eine gewerbliche Erweiterung auf einer verunreinigten Fläche beschlossen; in Sinzheim in Planung. Im Stadtkreis Baden-Baden gebe es konkrete Überlegungen, Flächen zu sanieren, um darauf ebenfalls ein Gewerbegebiet zu entwickeln.
Die Frage, wohin verseuchte Erde gebracht werden könnte – außer auf ebenfalls belastetes Gelände -, ist bisher unbeantwortet. Aktuell gibt es nach Kenntnis der Stabstelle keine Deponie im Südwesten, die belasteten Aushub annimmt. Entsprechende Pläne, PFC-Erde in einer Deponie in Gaggenau-Oberweier abzuladen, lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Die Stadt Baden-Baden plant nach Angaben der Stabstelle, auf der Deponie Tiefloch neue Kapazitäten zu schaffen und dabei auch einen Bereich für mit PFC verunreinigtem Boden einzurichten.
In Bühl ist bis Mitte kommender Woche die PFC-Erde in der unmittelbaren Nähe des Wasserwerks abtransportiert. Bis zu einen Meter tiefe Mulden bleiben zurück und sollen bewusst nicht wieder aufgeschüttet werden. „Der Naturschutz verbindet damit die Hoffnung auf eine Rückkehr der Bodenbrüter Kiebitz und Großer Brachvogel“, erläutert der Stadtsprecher. Die Natur wird sich selbst überlassen. Glück im Unglück, jedenfalls für die Vögel.