Stuttgart (dpa/lk) – Baden-Württemberg ist Corona-Hochburg. Weil immer mehr Menschen am Virus sterben, greift der Südwesten nun zur härtesten Maßnahme – selbst wenn andere Länder nicht mitziehen sollten. Denn das Land will wegen der ungebremst steigenden Corona-Infektionen das öffentliche Leben weiter herunterfahren. Ab diesem Samstag (12.12.) gilt landesweit eine Ausgangsbeschränkung und ein Alkoholverbot im Freien. Weiterhin sei ein Lockdown nach Weihnachten im Gespräch.
Baden-Württemberg will wegen der steigenden Corona-Infektionen das öffentliche Leben weiter herunterfahren. Wegen steigender Corona-Zahlen gilt in ganz Baden-Württemberg ab diesem Samstag eine Ausgangsbeschränkung. Ausnahmen könnten etwa die Arbeit oder ein Arztbesuch sein, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Freitag in Stuttgart. Tagsüber sind mehr Kontakte erlaubt als nachts. Nur über Weihnachten – vom 23. bis 27. Dezember – sei der Besuch von privaten und religiösen Veranstaltungen auch nachts erlaubt, sagte Kretschmann. Die Maßnahmen sollen vorerst für vier Wochen gelten.
„Uns fällt nichts anderes ein, als die Kontakte weiter zu beschränken“, sagte der Präsident des Gemeindetags, Roger Kehle, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. „Die Corona-Zahlen schießen in die Höhe.“ Ministerpräsident Kretschmann hat daher drastische Ausgangsbeschränkungen bereits ab dem morgigen Samstag verkündet: „Tagsüber kann man sich nicht mehr ohne Gründe im öffentlichen Raum aufhalten. Im Kern heißt das, dass man nicht mehr in der Stadt flanieren oder rumsitzen kann. Sondern man muss sich bewegen, um den Zweck, für den man unterwegs ist, zu erledigen. Und dann geht man wieder nach Hause.“ Für die Zeit zwischen 20 und 05 Uhr gibt es landesweit eine nächtliche Ausgangssperre. Außerdem wird auch das Alkoholverbot im öffentlichen Raum bereits morgen in Kraft treten. Die Maßnahmen gelten vorerst für vier Wochen.
Trotz der geplanten Ausweitung der Ausgangsbeschränkungen sollen Schulen, Kitas sowie auch Universitäten und Hochschulen vorerst geöffnet bleiben. Ministerpräsident Kretschmann sagte, er wolle aber die Gespräche mit den anderen Ländern und dem Bund am Sonntag abwarten. Vielleicht entscheide man sich dort für ein gemeinsames Vorgehen. Gerade Absprachen mit Nachbarländern wie Bayern seien wichtig. Besondere Regeln wie Quarantänepflicht gelten schon jetzt zum Beispiel für einzelne Klassen, Schulen oder größere Regionen, wenn das Infektionsgeschehen diese erforderlich macht.
Der Einzelhandel im Südwesten darf aber in der Vorweihnachtszeit trotz der geplanten coronabedingten Ausgangsbeschränkungen auch tagsüber weiterhin öffnen. „Wir haben ja keinen Lockdown beschlossen“, sagte Kretschmann. Es könne aber sein, dass sich Bund und Länder am Sonntag auf weiterreichende Regeln einigen. „Geschäfte vor Weihnachten zu schließen, ist schon eine sehr drastische Maßnahme“, sagte er. Sie machten da den Hauptumsatz. Die Regel gilt bis auf weiteres also nicht nur für Lebensmittel, sondern etwa auch für Mode-Geschäfte. Wichtig sei, dass man zielgerichtet einkaufen und danach nach Hause gehe, sagte Kretschmann. Für die Zeit nach Weihnachten bis 10. Januar hat das Land allerdings einen harten Lockdown angekündigt.
Allerdings hat Kretschmann die bundesweit geplanten Lockerungen über Weihnachten wieder infrage gestellt. Er könne sich etwa vorstellen, dass die Länder-Regierungschefs den Zeitraum der Lockerungen wegen der stark steigenden Infektionen noch einmal verkürzen, sagte Kretschmann. Wenn man etwas ändere, „sollten wir das auch wieder gemeinsam tun“, betonte der Grünen-Politiker. Bisher ist vorgesehen, dass sich vom 23. bis zum 27. Dezember zehn Personen treffen dürfen, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad und der Zahl der beteiligten Haushalte. Es stehe nun im Raum, das wieder auf Familienangehörige zu begrenzen, erläuterte er. Hintergrund für die Überlegungen sei auch eine aktuelle Umfrage, die besage, dass sich 40 Prozent der Bevölkerung nicht an die Vorschriften über Weihnachten halten wollten. Das seien „keine guten Nachrichten“.
Anders als bei den Ausgangsbeschränkungen will Baden-Württemberg bei weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die für Sonntag geplanten Gespräche zwischen Bund und Ländern abwarten. Davon betroffen sind mögliche Schließungen von Friseurbetrieben, Barbershops, Sonnenstudios und Sportanlagen, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Bei den Ausgangsbeschränkungen sei er vorgeprescht, weil die Corona-Zahlen in Baden-Württemberg so hoch seien. Hier habe man keine weiteren drei Tage abwarten können, sagte der Regierungschef.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann geht außerdem fest davon aus, dass es nach Weihnachten bis mindestens zum 10. Januar einen bundesweiten Lockdown im Kampf gegen das Coronavirus geben wird. Es gebe nach seiner Wahrnehmung einen Konsens unter den Länder-Regierungschefs, sagte der Grünen-Politiker am Freitag in Stuttgart. „Davon kann man also ausgehen. Die Bevölkerung kann sich darauf einstellen.“ Zur Not wolle er eine gemeinsame Lösung mit den Nachbarländern Baden-Württembergs anstreben zu wollen, sofern keine bundeseinheitliche Lösung gefunden werden könne. Wie genau der Lockdown aussehen soll, blieb zunächst offen. „Die Lage ist leider alarmierend“, betonte Kretschmann. „Wir haben Anzeichen für eine erneute exponentielle Zunahme der Neuinfektionen, deshalb müssen wir zwingend die Maßnahmen drastisch verschärfen.“
Auch Innenminister Thomas Strobl betonte: „Die Lage ist nicht unter Kontrolle.“ Zwingend seien härtere Schritte nötig. „Der Versuch mit dem Lockdown light ist gescheitert.“ Die Hoffnung war nach Kretschmanns Worten, die zweite Welle nach jener im Frühjahr mit vergleichsweise milden Mitteln zu brechen. „Doch von dieser Hoffnung müssen wir uns nun verabschieden.“ Der Regierungschef sagte: „Mit dem Virus kann man leider nicht verhandeln und Kompromisse schließen.“
In Baden-Württemberg lebt inzwischen fast jeder vierte Mensch in Corona-Hotspots mit ausufernden Infektionszahlen – also Regionen mit mehr als 200 Neuinfizierten je 100.000 Einwohner binnen einer Woche. In mehreren Stadt- und Landkreisen gelten wegen der Überschreitung dieser Marke bereits schärfere Maßnahmen als die landesweiten Regelungen im Kampf gegen die Pandemie. Alle 44 Stadt- und Landkreise liegen über dem Grenzwert von 50, ab dem ein Kreis als Risikogebiet gilt. 13 davon überschreiten die 200er-Marke pro 100.000 Einwohner, die Stadtkreise Heilbronn und Pforzheim liegen sogar über der 300er-Marke.
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich angesichts der anhaltend hohen Zahl der Corona-Infektionen dafür ausgesprochen, „die Weihnachtsruhe zu nutzen, um zu einem wirklichen Lockdown zu kommen“. „Wir hatten andere Erwartungen an den Teil-Lockdown“, sagte die SPD-Politikerin während der Orientierungsdebatte des Landtags zu Impfstrategien am Donnerstag in Mainz. Ähnlich äußerte sich Oppositionsführer Christian Baldauf. Auch er warb dafür, die Zahl der Neuinfektionen auf ein überschaubares Maß zu drücken. „Wir brauchen jetzt einen echten Lockdown, so, wie es auch die Bundeskanzlerin wünscht“, forderte der CDU-Fraktionschef.