Stuttgart (dpa/lsw) – Auf Klimakleber sieht sich die baden-württembergische Polizei gut vorbereitet. Man habe sich sehr frühzeitig mit den neuen Aktionsformen der Gruppierung „Letzte Generation“ auseinandergesetzt, teilte das Innenministerium mit. Ihre Verklebungen könnten die Beamten der regionalen Polizeipräsidien in der überwiegenden Mehrzahl binnen 30 bis 90 Minuten auflösen. Als Lösungsmittel für den verwendeten Sekunden-Kleber werden zumeist herkömmliche Pflanzenöle verwendet.
In Bayern gibt es regionale Spezialeinheiten, «Glue-on-Teams» (to glue: anleimen), in München und in Murnau, die rund um die Uhr bereit stehen, um die Aktivisten rasch von der Straße zu kriegen und Vekehrsbehinderungen zu vermeiden oder schnell aufzulösen. NRW rüstet ebenfalls gegen Klima-Aktivisten auf, die sich unangekündigt am Asphalt festkleben. Dort werden rund 10 000 Polizisten im Lösen von festgeklebten Aktivisten ausgebildet. Alle Streifenpolizisten und Beamte von Hundertschaften sollen an einer verpflichtenden digitalen Fortbildung teilnehmen.
Im Jahr 2022 wurden der Polizei in Baden-Württemberg 31 Blockadeaktionen des Straßenverkehrs bekannt, darunter 22 mit Anklebungen von Aktivisten am Fahrbahnbelag. In einem weiteren Fall seilte sich ein Mensch von einer Brücke über einer Fahrbahn ab. Verletzte Verkehrsteilnehmer gab es nicht.
Die Polizei Baden-Württembergs ist durch die Proteste auch personell gefordert: Sie war in diesem Zusammenhang im vergangenen Jahr rund 1020 Stunden im Einsatz. Hiervon entfielen rund 948 Stunden auf Verkehrsblockaden. Nach Angaben des Landeschefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, sind nicht die Auflösungen der Blockaden kräftezehrend, sondern die Folgen davon in Form von Staus und Umleitungen. Der Aufwand dafür entsprach laut einer Antwort des Ministeriums auf eine AfD-Anfrage bislang rund 60 650 Euro. Bei den illegalen Aktionen registrierte die Polizei Baden-Württemberg 130 Tatverdächtige, darunter auch solche, die nur als Begleiter dabei waren.
Nach Angaben des Ministeriums in Stuttgart sind bereits im März 2022 Polizeidienststellen mit Handlungsempfehlungen zu taktischen und rechtlichen Fragen des Umgangs mit den Verklebungen versorgt worden. Das Thema fließe auch in die Fortbildungsangebote ein, unter anderem für die Anti-Konflikt-Teams, die insbesondere bei Versammlungen zum Einsatz kommen. Gewerkschafter Kusterer sprach sich für eine Präventivhaft nach bayerischem Vorbild aus, die Menschen droht, wenn sie weitere Aktionen ankündigten. Man müsse reagieren können, «bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.» Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz können Bürger auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung bis zu einen Monat lang festgehalten werden, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder eine Straftat zu verhindern. Zuletzt waren wiederholt Klimaaktivisten in Bayern in Präventivhaft genommen worden.
Die baden-württembergische Regelung sei nicht auf den Sachverhalt der Klima-Aktionen zugeschnitten, sondern auf Fälle wie Ingewahrsamnahme eines Betrunkenen oder eines Suizidgefährdeten, monierte Kusterer. Außerdem sei sie nur auf zwei Wochen begrenzt. Das Innenministerium betont hingegen, auch in Baden-Württemberg könnte bei vorangekündigten Aktionen im Einzelfall eine Ingewahrsamnahme geeignet sein, um unmittelbar bevorstehende erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit abzuwehren. Dies passiere in Abwägung mit dem hohen Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. «Gleichwohl erscheint im Zusammenhang mit den Klima-Protesten ein Gewahrsam in der überwiegenden Anzahl der Fälle nicht zielführend», hieß es aus dem Ressort von Minister Thomas Strobl (CDU). Wegen vorab unbekannten Orten und Zeiten der Aktionen könnten die Taten nicht dauerhaft verhindert werden.
Die Gruppe selbst hat bis zum 24. Januar, dem Jahrestag der ersten Aktion in Berlin, 1250 Straßenblockaden in ganz Deutschland gezählt, rund 800 Menschen hätten sich beteiligt. Mehr als 1200 Mal seien Protestierende deswegen in Polizeigewahrsam gekommen.