Pforzheim/Stuttgart (dpa/tk) – In Pforzheim hat sich der Gemeinderat gegen eine Erstaufnahme-Einrichtung ausgesprochen, in anderen Städten gehen die Bürger auf die Straße – in Baden-Württemberg gibt es zunehmend Widerstand gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften. Aber der Südwesten muss die Menschen aufnehmen und verteilen. Deshalb will die grün-schwarze Landesregierung den Druck auf die Kommunen notfalls erhöhen.
Als letzte Möglichkeit müssten Einrichtungen auch gegen den Willen von Städten und Gemeinden entstehen können, kündigten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und das Justizministerium an. «Wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Das ist eine Pflichtaufgabe», hatte Kretschmann zuletzt betont. Der Zustrom werde nicht abreißen, «davon bin ich persönlich überzeugt». Und letztlich müsse jede Einrichtung auf einem Gemeindegebiet stehen. «Wir haben keine gemeindefreien Gebiete mehr in Baden-Württemberg.»
Aber die Skepsis vieler Menschen ist mittlerweile groß. Zuletzt hatte der Pforzheimer Gemeinderat eine Erstaufnahmeeinrichtung (EA) für Geflüchtete in der Stadt nach monatelanger Debatte abgelehnt. Auch in Tamm bei Ludwigsburg protestierten Bürger gegen eine Flüchtlingsunterkunft. Das lange Tauziehen von Land und Stadt Ellwangen um die dortige Einrichtung hatte zudem erst ein Ende, als sich beide Parteien auf eine Frist bis Ende 2025 einigten. Dann braucht das Land eine andere Lösung. Die Zeit drängt.
Laut Kretschmann werden Überlegungen «konkret verfolgt», wie sich das Land im Zweifelsfall gegen eine Kommune durchsetzen kann. «Wir versuchen natürlich, das Einvernehmen mit den örtlichen Gebietskörperschaften herzustellen», sagte Kretschmann. Es sei bisher in keiner Kommune eine EA gegen den Mehrheitswillen des Gemeinderats in Betrieb genommen worden.
Der FDP-Landtagsfraktions-Vorsitzende und Pforzheimer Stadtrat Hans-Ulrich Rülke warnt Kretschmann davor, die Flüchtlings-EA in Pforzheim nun gegen den Willen der Bevölkerung und des Gemeinderates gewaltsam durchzudrücken. Über Wochen und Monate hätten CDU-Mitglieder der Landesregierung gebetsmühlenhaft versprochen, nicht gegen den Willen der Stadt zu handeln. Und nun wolle offensichtlich diese Landesregierung gerade in Pforzheim, das schon mit einem Abschiebegefängnis belastet sei, die höchste Arbeitslosigkeit landesweit und die höchste Migrantenquote bundesweit habe, ein Exempel statuieren. „Die Landesregierung aus Grünen und CDU will wohl nun aus der Idee einer CDU-LEA eine grün/schwarze Brechstangen-LEA machen. Dagegen müssen wir uns wehren!“, so Rülke.
Im vergangenen Jahr wurden laut Justizministerium 146 000 Menschen aus der Ukraine, 28 000 Asylsuchende und 3400 Menschen im Rahmen der humanitären Hilfe in Baden-Württemberg aufgenommen. In den ersten Monaten 2023 waren Stand Donnerstag bislang weitere 7000 Menschen auf der Suche nach Asyl sowie 13 000 auf der Flucht vor dem Ukraine-Krieg und 600 weitere, darunter zum Beispiel Ortskräfte aus Afghanistan.
Im Land gibt es derzeit mehr als zehn Aufnahmestandorte, darunter das Ankunftszentrum in Heidelberg sowie vier Landeserstaufnahmestellen in Ellwangen, Sigmaringen, Freiburg und Karlsruhe. Insgesamt verfügt das Land den Angaben nach über rund 13 200 Plätze für Geflüchtete.