Heidelberg (dpa/lsw) – Die Kommunen haben das Land angesichts des Fachkräftemangels und knapper Kassen vor einem Kollaps beim Ausbau der Kindertagesstätten und der Ganztagsbetreuung in Grundschulen gewarnt. Es sei „völlig unvorstellbar“, dass Städte und Gemeinden den vom Bund festgelegten, stufenweisen Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2026/2027 in den Grundschulen umsetzen, sagte der Präsident des Städtetags, Peter Kurz, am Freitag bei der Hauptversammlung seines Verbands in Heidelberg. Bund und Land müssten deutlich mehr Mittel zur Verfügung stellen oder die Standards senken, forderte der Mannheimer Oberbürgermeister. „Wir müssen realistisch mit der Öffentlichkeit reden.“
Kurz wehrte sich dagegen, dass die Kommunen Bürgern den Mangel erklären müssten. „Die anderen politischen Ebenen bestellen und wir erklären vor Ort, warum es nicht klappt, das ist keine gute Arbeitsteilung.“ Geplant ist, dass jedes Kind, das ab dem Schuljahr 2026/2027 eingeschult wird, in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommt.
Kurz forderte das Land grundsätzlich auf, wegen der drohenden Energie- und Wirtschaftskrise und der knappen Kassen „Leistungsversprechen und Standards“ zu überprüfen. „Darüber müssen wir reden.“ Auch beim Kita-Ausbau stießen die Kommunen an ihre Grenzen. Er verlangte von der grün-schwarzen Landesregierung, hier Öffnungen und Experimente zuzulassen. „Mit den jetzigen Standards werden wir die quantitativen Erwartungen nicht erfüllen können.“
In den Kitas fehlen nach Studien ab 2025 mehrere Zehntausend Erzieher. Die Kommunen fordern schon länger, die Gruppengröße in Kitas zu erhöhen und beim Personalschlüssel auch nicht-pädagogische Kräfte einzuberechnen. Auch die Erhöhung des Klassenteilers ist dem Vernehmen nach ein Thema. Der Klassenteiler ist der Richtwert für die Zahl der Schüler, ab dem eine Klasse in zwei Klassen aufgeteilt wird.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann bat die Kommunen wegen der Krise um Verständnis, dass das Land sich finanziell auf das «absolut Notwendige» konzentrieren müsse. „Es macht wenig Sinn, wenn die einen bei den anderen mehr Geld fordern, die selber kein Geld haben“, sagte der Grünen-Politiker. „Es kommen unter Umständen extrem harte Zeiten auf uns alle zu.“ Es werde zu materiellen Wohlstandsverlusten kommen, der Staat könne nicht alle Folgen des Ukraine-Kriegs auffangen. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen die gestiegenen Preise stemmen, wir müssen denen helfen, die das nicht können.“ Es gelte, wirtschaftliche und soziale Brüche zu vermeiden. „Die Haushalte wird allein schon das enorm strapazieren.“ Manche Banken gingen schon von einer Rezession aus.
Kretschmann sagte, gleichzeitig müsse man die Klimakrise bewältigen und hier investieren. „Wir sind alle zu langsam.“ Er sieht großen Nachholbedarf bei Solaranlagen auf Hausdächern in vielen Kommunen. Er habe eine Rangliste vorliegen, die zeige, dass es „drastische Unterschiede“ zwischen Städten und Kreisen im Südwesten bei Photovoltaikanlagen pro Einwohner gebe. „Da war ich echt geplättet.“ Biberach liege an der Spitze und manche Großstädte seien ganz hinten platziert. Viele Kommunen müssten beim Ausbau der Erneuerbaren Energien dringend nacharbeiten. „Das sind große Aufgaben für Sie“, rief er den gut 200 Oberbürgermeistern und Bürgermeistern zu. Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sagte am Rande des Treffens, man sei sich des Problems in der Landeshauptstadt bewusst und wolle jetzt in die Offensive kommen.
Vor dem Gasgipfel an diesem Montag appellierte Kretschmann an die Kommunen, Ideen zum Energiesparen mitzubringen. „Jeder soll sich gute Vorschläge überlegen, statt an denen, die da sind, rumzumeckern“, sagte der Grünen-Politiker. Auch wenn man nur zwei Minuten dusche, werde man sauber und spare dabei eine Menge Energie. „Dann wird aus vielen Peanuts eben eine große Nuss.“
Kretschmann erhofft sich beim Gipfel vom Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, Antworten auf dringende Fragen. So müsse geklärt werden, ob der Süden Deutschlands bei einer Gasmangel-Lage im Herbst und Winter strukturell benachteiligt sei. Der Regierungschef dringt auch darauf, dass die Bedürfnisse der Wirtschaft in einer Notlage berücksichtigt werden. Auf den zweiten Blick gebe es deutlich mehr systemrelevante Unternehmen, als man zunächst glaube. Im Kern werde nicht daran gerüttelt, dass Privathaushalte Vorrang hätten. „Natürlich können wir keine älteren Frauen in ihren Wohnungen frieren lassen.“ Krankenhäuser und auch Schulen müssten selbstverständlich beheizt werden.
Kretschmann warnte aber: „Wenn wichtige Industriezweige kein Gas mehr bekommen, dann kann sich das in Windeseile auf die Lieferketten auswirken.“ Und das könne dramatische Folgen für die Existenzvorsorge haben. Als Beispiele nannte der Regierungschef die Produktion von Papier. Zum Beispiel müssten Medikamente in Papierschachteln eingepackt werden. „Solche Firmen können auf den zweiten Blick höchst systemrelevant sein.“