Eine Planstadt birgt, aus städtebaulicher Perspektive, so ihre Herausforderungen. Insbesondere wenn die Umstände es erfordern, den Plan unter dem Druck aktueller Entwicklungen zu überdenken und an vielen Stellen zu überarbeiten. Karlsruhe ist, was die Ansprüche an die moderne Stadtentwicklung angeht, sicher keine Ausnahme von vielen anderen Städten in Deutschland und der ganzen Welt. Dennoch sind die Voraussetzungen hier nicht wie überall sonst.
Bestandsaufnahme: Karlsruhe im Vergleich
Die gute Nachricht vorneweg: Die Wohnzufriedenheit in Karlsruhe, Baden-Baden sowie den Landkreisen Karlsruhe und Rastatt ist einer Telefonumfrage zufolge überaus zufriedenstellend . Die Ergebnisse, die der Regionalverband Mittlerer Oberrhein nach der Befragung von 6.000 Haushalten in der Region unlängst präsentierte, sprechen in dieser Hinsicht jedenfalls eine deutliche Sprache. Sowohl die Wohnsituation als auch das Wohnumfeld wurden von nahezu allen Befragten positiv bewertet, die Werte für „zufriedene“ und „sehr zufriedene“ Bewohner lag dementsprechend bei rund 99 Prozent.
Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, wie in vielen attraktiven Großstädten, der schnell schwindende Wohnraum. Wer sich also nicht bereits in der komfortablen Position sieht, in der Region einen Wohnsitz gefunden zu haben, wird sich damit unter Umständen schwer tun. Schon jetzt ist der Wohnungsmarkt in der Region angespannt, durch fortwährenden Zuzug wird diese Situation keine Entspannung erfahren.
Der Bau von bezahlbarem Wohnraum ist daher einer der wesentlichen Aspekte der Stadtentwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Karlsruhe unter die deutschen Schwarmstädte zu zählen ist (dazu weiter unten mehr). Obwohl der Zustrom junger Menschen ein gutes Zeichen und eine große Chance für die Stadt ist, besteht auf der anderen Seite die Gefahr, dass ein Umzug zur übermäßigen finanziellen Herausforderung wird, selbst wenn einige Kostenfaktoren umgangen werden. Spätestens bei der Miete bleibt dann nur noch wenig Verhandlungsspielraum.
Dazu kommen Handlungs- und Problemfelder, die für die heutige Zeit nur allzu typisch sind: Nachhaltigkeit und Klima verlangen genauso große Aufmerksamkeit wie die wirtschaftliche Gesundheit von Stadt und Region. Oberste Priorität sollten dabei immer die Bedürfnisse der Bürger sein.
Auch in dieser Hinsicht gibt es allerdings für die Stadt Karlsruhe erst einmal Grund zur Freude, das bestätigt der Blick auf verschiedene Städterankings der jüngeren Vergangenheit. Der Prognos Zukunftsatlas 2016etwa befasst sich mit den Zukunftsperspektiven von Kreisen und Städten in Deutschland. Berücksichtigt werden dabei unterschiedliche Indikatoren aus vier Hauptbereichen:
Differenziert wird innerhalb dieser Bereiche einerseits nach der Stärke (die sich auf den Ist-Zustand bezieht) und Dynamik (mit der die Entwicklung aufgegriffen wird). Zwischen diesen beiden Polen verteilen sich die insgesamt 29 makro- und sozioökonomischen Indikatoren, die in die finale Bewertung einfließen. Für den Bereich „Demografie“ etwa bedeutet das, dass auf der einen Seite die Fertilitätsrate und der Anteil junger Erwachsene (beide unter „Stärke“) und auf der anderen Seite die Bevölkerungsentwicklung und das Wanderungssaldo junger Erwachsener analysiert wurden.
Bei „Wohlstand und Soziale Lage“ wurden beispielsweise die Kaufkraft, die Kriminalitätsrate, die kommunale Schuldenlast oder die Entwicklung beim Anteil von Personen, die in sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben untersucht. Bezüglich des „Arbeitsmarkts“ blickt der Zukunftsatlas selbstverständlich auf die Arbeitsplatzdichte sowie die Arbeitslosenquote und deren Entwicklung, relevant sind für dieses Ranking aber auch die Zahl der Hochqualifizierten, der Schulabbrecher und die von unbesetzten Ausbildungsstellen.
Was „Wettbewerb und Innovation“ anbelangt, so kommen in dieser Kategorie die meisten Indikatoren zur Anwendung, sie reichen vom Bruttoinlandsprodukt über die Gründungs- und Patentintensität bis hin zur Zahl der Top 500-Unternehmen oder der Veränderung der Gesamtbeschäftigung. Zusätzlich zu den vier Hauptbereichen umfasst der Zukunftsatlas 2016 zudem einen Digitalisierungskompass.
In den einzelnen Kategorien schnitt Karlsruhe wie folgt ab:
Ergänzend dazu kommen die Platzierungen für Dynamik (56) und Stärke (47) – insgesamt rangiert die Stadt damit auf Rang 46 von 402 ausgewerteten Städten und Kreisen. Das entspricht laut Prognos-Index hohen Zukunftschancen, der Digitalisierungskompass bescheinigt außerdem ausgezeichnete Chancen in diesem Sektor. Das ist sicher nicht das schlechteste Ergebnis, dennoch ist es in vielen Bereichen ausbaufähig.
Hohe Lebensqualität
Das Fraunhofer Institut widmet sich mit dem Morgenstadt-Index vornehmlich sogenannten Schwarmstädten in Deutschland. Eine eindeutige Definition des Begriffs gibt es zwar nicht, als wesentliches Merkmal gilt allerdings der steigende Anteil der Altersklasse zwischen 20 und 34 Jahren an der Bevölkerung – also genau die Gruppe, die aus vielen anderen Städten abwandert. Grundsätzlich befasst sich der Index aber mit der Zukunftsfähigkeit einer Stadt, die an vier Säulen festgemacht wird. Im Prinzip werden diese dann wie beim Zukunftsatlas durch verschiedene Indikatoren ausdifferenziert.
Eingedenk der Ergebnisse, die der Prognos Zukunftsatlas geliefert hat, mag das Ranking von Karlsruhe unter den untersuchten 30 Schwarmstädten möglicherweise ein wenig überraschen: Mit einem knappen Vorsprung vor München belegt die Stadt tatsächlich den ersten Platz. Vor allem im Bereich „Lebenswerte Stadt“ wusste Karlsruhe zu überzeugen, ebenfalls sehr gut ist der dritte Platz in der Rubrik „Innovative Stadt“. Platz sechs bei der Resilienz bestätigt zudem, dass externe Einflüsse in jedem Fall gut bewältigt werden können.
Durchschnitt sind hingegen die Leistungen in der Kategorie „Umweltgerechte Stadt“ (Platz 12), wenngleich die Energie für die Stadt bereits zu großen Teilen aus erneuerbaren Energien gewonnen und eine Recyclingquote bei der Müllverwertung von 72 Prozent erreicht wird – dem stehen allerdings ein hohes Müllaufkommen und der hohe Wasserverbrauch gegenüber. Die einzelnen Ergebnisse sowie die Einschätzung durch Katrin Herold vom Stadtplanungsamt Karlsruhe können dem veröffentlichten Index entnommen werden.
Das vergleichsweise gute Abschneiden in Fragen der Stadtentwicklung ist keineswegs Zufall, sondern das Resultat einer langjährigen und weitsichtigen Auseinandersetzung mit möglichen Problem- und Handlungsfeldern. Sie ist unter anderem eingeflossen in den „Karlsruhe Masterplan 2015“, aus dem inzwischen das „Integrierte Stadtentwicklungskonzept Karlsruhe 2020“geworden ist. In diesem Konzept sind die wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft zusammengefasst:
Das Konzept trägt vor allem der dynamischen Entwicklung Rechnung: Stadtentwicklung ist ein fortwährender Prozess, daher müssen zugrundeliegende Konzepte die Möglichkeit beinhalten, einerseits langfristige Perspektiven aufzuzeigen und andererseits über eine gewisse Flexibilität verfügen zu können, wo es die Anforderungen erfordern. Zudem wurde bei der Erarbeitung viel Wert darauf gelegt, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen.
Das bedeutet unter anderem, dass bei der Konzeptentwicklung nicht nur alle Interessengruppen beteiligt waren, sondern dass im ISEK 2020 auch alle angestrebten Projekte und Strategien zusammengefasst sind. Im Grunde genommen bildet diese Herangehensweise auch die Verknüpfung der Teilbereiche untereinander ab – gänzlich getrennt voneinander können diese unter der Prämisse, die Stadt für alle Menschen attraktiver zu machen, schließlich nicht betrachtet werden.
Das wird außerdem an der Bandbreite deutlich, mit der möglichst jeder Aspekt der Stadtentwicklung erfasst werden soll. Die abgedeckten Bereiche sind:
Daraus haben sich verschiedene Leitvorhaben ergeben, die auf einen bestimmten Schwerpunkt abzielen. Der „Fokus Technologiestadt 2020“ etwa soll dabei helfen, Karlsruhe in Zukunft nicht nur als Wissenschaftsstadt zu stärken, sondern die Stadt darüber hinaus als High-Tech-Standort zu etablieren. Geht es hierbei auch darum, Gewerbeflächen optimal zu nutzen, so stehen beim „Fokus Umweltstadt 2020“ vornehmlich die Natur und städtische Grünflächen im Mittelpunkt. Dazu kommen Maßnahmen, mit denen natürliche Ressourcen besser geschützt und umweltverträgliche Mobilitätsformen ausgeweitet werden können.
Der „Fokus Kulturstadt 2020“ hingegen ist als „Bindemittel“ zwischen Kunst und Technologie, Kultur und Wirtschaft gedacht, was sowohl mit einer inhaltlichen wie auch mit einer baulichen Umstrukturierung einhergehen soll. Abgesehen davon will sich Karlsruhe mit diesem Leitvorhaben als Stadt der Menschen- und Bürgerrechte positionieren.
Der Zusammenhalt der Bürger sowie die Entwicklung von Bildungs-, Sport- und Gesundheitsangeboten gehört zum „Fokus Stadtgesellschaft 2020“. Ein letztes Leitvorhaben („Fokus Innenstadt und Stadtteile 2020“) befasst sich mit der gezielten Entwicklung und Aufwertung bestimmter städtischer Bereiche. Dazu werden unter anderem die Planungsvorschläge des „Räumlichen Leitbildes“ für Karlsruhe aufgegriffen.
Damit hat der Karlsruher Gemeinderat schon 2016 auf die Anforderungen einer immer weiterwachsenden Stadt reagiert. Grundsätzlich geht es darum, eine übergreifende Richtung bei der weiteren Entwicklung der Stadt vorzugeben. Relevant hierfür sind all jene Faktoren, die sich in den vergangenen Jahren in so vielen Städten als kritisch erwiesen haben: Wie soll mit steigenden Einwohnerzahlen, wie mit einer insgesamt alternden Bevölkerung umgegangen werden? Wie können oder sollen vorhandene Flächen am besten genutzt werden?
Die Zielsetzungen des Leitbilds bewegen sich zwischen diesen Fragestellungen und den Vorstellungen des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts Karlsruhe 2020. Sie sollten aber keinesfalls als festgeschriebener Plan betrachtet werden, vielmehr wurde das Leitbild so angelegt, dass die angedachten Maßnahmen im Bedarfsfall noch angepasst werden können.
Die Aufgabenbereiche sind dennoch klar umrissen, um bei der Stadtentwicklung wichtige Orientierungspunkte zu setzen. Inhaltlich geht es um bereits bekannte Problem- und Handlungsfelder, denn
Der Morgenstadt-Index begreift die innovative Stadt gewissermaßen als ein großes Labor, in dem Probleme analysiert und vor Ort gelöst werden können. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat aus dieser Vorstellung ein ganzes Entwicklungsprojekt gemacht: Schon seit 2013 geht es bei „Quartier Zukunft – Labor Stadt“darum, nachhaltige Ideen zu entwickeln und im Zusammenspiel von Bürgern, Wissenschaftlern, Politikern und Vertretern der Wirtschaft umzusetzen. Das Miteinander ist ein wesentlicher Faktor, damit die erarbeiteten Lösungen auf die größtmögliche Akzeptanz stoßen.
Der Maßstab ist dabei ein einzelnes Quartier, nicht die ganze Stadt. Startpunkt für das Projekt war die Karlsruher Oststadt, was unter anderem der räumlichen Nähe zum KIT geschuldet war. Andererseits bietet sich hier auch die ganze Vielfalt städtischen Lebens auf vergleichsweise kleinem Raum und das in jeder Hinsicht – räumlich, städtebaulich, sozial.
Ebenso vielfältig sind die Teilprojekte, die im Rahmen von „Quartier Zukunft“ initiiert wurden:
Die sogenannten „Naschbeete“, auf denen die Bürger Kräuter, Gemüse und Früchte anbauen. Zusammen mit verschiedenen Obstbäumen entsteht so eine Umgebung, die einerseits der Selbstversorgung innerhalb der Nachbarschaft und andererseits als Lebensraum für die Stadtbienen dient. Darüber hinaus tragen die neu begrünten Flächen insgesamt zur Verbesserung des Klimas bei.
Für den Erfolg des Projekts spricht, dass es seit seinem Start eine ganze Reihe weiterer Projektideen hervorgebracht hat, nicht zuletzt dank der Einführung des Ideenpreises „Im|Puls Oststadt“, zu dem jeder seine Vision für die nachhaltige Gestaltung des Stadtquartiers einbringen kann. Tatsächlich bilden die Vorschläge ein weites Spektrum an nachhaltigen Maßnahmen ab, bei denen vor allem der Gedanke der Gemeinschaftlichkeit ein verbindendes Element aller Ideen ist. Entsprechend ist das Projekt „Quartier Zukunft“ besonders unter sozialen Aspekten ein Zugewinn für das städtische Zusammenleben.
Nach einem ähnlichen Prinzip der Mitwirkung funktioniert im Übrigen auch die Stadtteilentwicklung in Karlsruhe.Durch die Beteiligung der Bürger und anderer Akteure vor Ort sollen bestmögliche Lösungen für aktuelle Problemlagen – etwa bei notwendigen Sanierungen oder Umstrukturierungen – entwickelt werden.
Die Umsetzung der Pläne für die weitere Entwicklung der Stadt sind bereits seit einigen Jahren in vollem Gange, das anberaumte Ende des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts rückt zudem immer näher. Grund genug also, die aktuelle Lage zu überprüfen.
Thema Neuer Wohnraum
Trotz aller planerischer Bemühungen erweist sich diese Lage, wie eingangs bereits erwähnt, vor allem im Hinblick auf das Ziel, neuen Wohnraum zu schaffen, als mindestens ausbaufähig. Schon im Januar dieses Jahres monierten etwa die Gemeinderäte Sabine Zürn und Niko Fostiropoulos den bislang unzureichenden Fortschritt beim sozialen Wohnungsbau. In Zahlen drückt sich das Dilemma folgendermaßen aus:
Tatsächlich sind in den vergangenen zehn Jahren etwa 6.000 neue Wohnungen in den verschiedenen Stadtteilen entstanden, um das angepeilte Ziel zu erreichen, steigt deren Zahl bislang allerdings zu langsam. Das gilt vor allem dann, wenn man das Anwachsen der Stadtbevölkerung berücksichtigt: Im selben Zeitraum sind fast 10.000 neue Wohnberechtigte hinzugekommen.
Der Regionalverband Mittlerer Oberrhein prognostiziert in der eingangs erwähnten Wohnstudie zudem bis 2035 einen weiteren Zuwachs von rund 18.000 Menschen. Dabei ist schon berücksichtigt, dass die Zahlen für bestimmte Altersgruppen (vor allem bei den 30- bis unter 50-jährigen sowie der Gruppe zwischen 50 bis unter 65) in diesem Zeitraum wohl rückläufig sein werden. Das akute Problem besteht dennoch und Anbetracht der Prognosen wird der Bedarf auch in Zukunft akut bleiben.
Berücksichtigung aller Interessen
An mangelnden Flächen, die für den Bau des benötigten neuen Wohnraums genutzt werden könnten, mangelt es indes nicht. Sie sind allerdings nicht überall im Stadtgebiet zu finden. Kleinere Flächen sind zwar in allen Stadtteilen vorhanden, in größerem Umfang könnten Bauprojekte aber wohl nur zwischen Nordstadt, Nordweststadt und Neureut realisiert werden.
Selbst dann ist jedoch fraglich, ob solche Vorhaben schnell umgesetzt würden – das Thema Wohnraum wird wie alle anderen stadtplanerisch relevanten Bereiche behutsam angegangen, um spätere Probleme schon im Vorfeld zu vermeiden. Raum muss schließlich auch für Gewerbeflächen übrigbleiben, will Karlsruhe ein attraktiver Standort für Unternehmen bleiben.
Unter dem Schlagwort „Coole Quartiere“ sind verschiedene Maßnahmen angedacht, um die klimatischen Verhältnisse in der Stadt zu verbessern. Neben Wohn- und Gewerbeflächen sind es daher Grün- und Wasserflächen, die bei der Weiterentwicklung der Stadt eine wichtige Rolle spielen. Hierin zeigt sich noch am ehesten der Nachteil eines relativ offenen Stadtentwicklungskonzepts: Der Verzicht auf konkrete Projekte eröffnet zwar die Möglichkeit, situativ zu reagieren, verlangsamt aber die notwendigen Prozesse, weil unter Umständen erst verschiedene Szenarien gegeneinander abgewogen werden müssen. Immerhin, gänzlich ohne Plan passiert in Karlsruhe glücklicherweise nichts.
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