Karlsruhe (lk) – Jeden Sonntag trifft Martin Wacker prominente Persönlichkeiten aus der Region. Diesmal war der Leiter der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland Prof. Dr. Hubert Klausmann zu Gast. Klausmann ist 1955 in Freiburg im Breisgau geboren, aufgewachsen in der benachbarten Grenzstadt Breisach am Rhein, ist Leiter der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland und hat den „Kleinen Sprachatlas von Baden Württemberg“ verfasst. Was die Unterschiede der Dialekte sind und warum immer alle denken, dass nur in Norddeutschland richtig gesprochen wird, erläutert er im Interview mit Martin Wacker.
Wenn es um Dialekt und Mundart geht, dann ist Hubert Klausmann genau der richtige Mann. Der Sprachforscher hat den „Kleinen Sprachatlas von Baden Württemberg“ verfasst. Darin sind 160 Ortschaften vermerkt und deren typische Aussprache verschiedener Begriffe. Für Klausmann ein jahrzehntelanger Wunsch: „Ich hatte über Jahre hinweg die Landesregierung immer wieder daran erinnert, dass man über den Norden Baden-Württembergs noch gar nichts weiß.“ Aber auch dieser Bereich des Landes müsse erforscht werden, um zu wissen, woher die Einflüsse kommen würden. „Vor zehn Jahren haben wir begonnen zu forschen.“ Mit Hilfe der Bürgermeisterämter sei man in die Materie eingestiegen. Im Internet gibt es inzwischen sogar die Möglichkeit, sich den Sprachatlas virtuell anzuhören. Dafür wurden extra Tonaufnahmen in den Ortschaften aufgezeichnet.
Für Dialekte habe sich Klausmann schon immer interessiert. In seiner Heimat Freiburg wurde Alemannisch gesprochen, heute lebt er im schwäbischen Tübingen. „Ich habe Sprachwissenschaft studiert, vor allem Germanistik und Romanistik. Da wollte ich die Vielfalt der Entstehung an lebenden Mundarten erforschen.“ Den sicheren Job habe der Wissenschaftler jedoch als Lehrer in der Schule gefunden. Doch auch schon damals habe er viel zur Mundart in Vorarlberg, Liechtenstein und dem Allgäu geforscht. Denn Dialekte haben für Klausmann etwas sehr Authentisches. „Ich unterstütze es, einen süddeutschen Standard zu sprechen. Hannover spricht beispielsweise einen norddeutschen Standard. Und wir sprechen hier eben einen süddeutschen Standard.“ Zu dessen bekanntesten Sprechern gehören Winfried Kretschmann, Jogi Löw oder Christian Streich.
Der Dialekt ist nach Angaben von Klausmann zu Hause in den Familien, mit Freunden, im Sportverein oder in geselligen Runden am Abend. Doch gerade in Baden-Württemberg gebe es besonders viele Schattierungen zwischen der Standard-Sprache und dem Ortsdialekt. Ausgangspunkt für jede Dialektbeschreibung sei das Althochdeutsche oder Mittelhochdeutsche. Schwäbisch und Alemannisch hätten sich demnach etwa im 14. bis 16. Jahrhundert voneinander getrennt. Doch typische Dialektbegriffe würden in der heutigen Zeit immer wieder ersetzt. „Die Menschen entscheiden sich intuitiv für die norddeutsche Variante, da sie denken, dass dies das korrekte Wort sei.“ Klausmann sieht daher auch die Schulen darin gefordert, den Dialekt aufrecht zu erhalten. „Es geht nicht darum, den Dialekt zu lehren. Aber die Schüler darüber aufzuklären, dass es verschiedene Sprechweisen gibt – und alle in Ordnung und richtig sind. Entscheidend ist, ob das kommunikative Ziel erreicht wird.“
Eine wichtige Grenze, um Sprachströme zu lenken, sei der Schwarzwald. „Das sieht man in der Sprache sehr gut. Das Rheintal ist sehr offen gegenüber allen Neuerungen, die von Norden kommen. Auch das Französische hat einen immensen Einfluss. Und jenseits des Schwarzwaldes haben wir Einflüsse aus dem Südosten – also Bayerisch sogar fast schon.“ So konnten sich zwei unterschiedliche Dialekträume im Land entwickeln, die schlichtweg die Veränderungen der anderen Seite nicht mehr mitbekommen haben. Und in beiden Dialekträumen gebe es dann Begriffe, die keinerlei Konkurrenz haben, so Klausmann. So heiße der Löwenzahn in seiner Heimat Breisach bis heute noch Bisangele – abgeleitet vom französischen „Piss en lit“ also „ins Bett machen“.