Karlsruhe (dpa/lk) – Wollte ein Anhänger der Terrormiliz IS Ende 2017 mit einem Lastwagen einen Anschlag auf die Karlsruher Eisbahn verüben? Der Prozess gegen den Mann zieht sich inzwischen über mehr als zwei Jahre. Jetzt will das Gericht entscheiden, ob es um Terror geht oder um Täuschung. Heute soll am Stuttgarter Oberlandesgericht ein Urteil gesprochen werden. Die Staatsanwaltschaft fordert eine hohe Haftstrafe, die Verteidigung plädiert auf Freispruch.
Dasbar W. soll alles geplant haben. Mit einem Lastwagen wollte er in den Bereich vor der Eisbahn in Karlsruhe rasen, um bei einem Anschlag für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ möglichst viele Menschen zu töten. Vor drei Jahren soll er das geplant oder es zumindest erwogen haben. Soll. Denn ob Dasbar W. tatsächlich im Winter 2017 als IS-Anhänger zuschlagen wollte, daran gibt es inzwischen seither doch erhebliche Zweifel. So starke Zweifel sogar, dass das Szenario, von dem die Ermittler anfangs noch ausgegangen waren, unter Umständen am Mittwoch beim Urteil im Stuttgarter Oberlandesgericht keine Rolle mehr spielen könnte.
Seit fast drei Jahren sitzt Dasbar W. bereits in Untersuchungshaft, zuvor war er im Irak zwei Monate lang in Haft. Geschlagene zwei Jahre wurde verhandelt – und trotzdem gibt es zumindest aus Sicht des Verteidigers Marc Jüdt für den schärfsten Vorwurf aus der Anklageschrift keine Beweise gegen seinen Mandanten. Dasbar W. sei kein gewaltbereiter Islamist gewesen, er praktiziere Mitmenschlichkeit und liebe die Freiheit und die Demokratie, deshalb und wegen seiner bereits abgesessenen Zeit hinter Gittern müsse er auch freigesprochen werden.
Das sieht die Bundesanwaltschaft naturgemäß anders. Sie fordert in ihrem Plädoyer eine Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten für den mutmaßlichen Islamisten. Und sie geht davon aus, dass der in Freiburg geborene Deutsche kurdischer Herkunft den IS als ausländische terroristische Vereinigung in sechs Fällen unterstützt hat, auch sei er Mitglied der Miliz gewesen. Die geforderte Haftstrafe würde zudem die mutmaßliche Planung des Anschlags auf dem Karlsruher Schlossplatz umfassen. Nach dem Antrag der Bundesanwaltschaft soll die im Irak verbüßte Haft doppelt angerechnet werden.
Das überrascht: Denn eigentlich waren die beiden wesentlichen Vorwürfe gegen Dasbar W. – Anschlagsplanung und IS-Mitgliedschaft – vom Senat schon vor mehr als einem Jahr im Haftbefehl gestrichen worden. Das sei zumindest ein erster Hinweis darauf gewesen, dass für den Senat kein dringender Tatverdacht mehr gegeben sei, sagte ein OLG-Sprecher. Zuvor hatte das Gericht einen vorbestraften V-Mann der Ermittler befragt, auf dessen Aussagen sich die Anklage im Wesentlichen stützt. Er soll mit einer falscher Biografie Freundschaft zu W. geschlossen und anschließend Bericht erstattet haben. Der angeklagte Dasbar W. habe sich zudem im September 2017 erfolglos bei Paketdiensten als Fahrer beworben. Während das Landeskriminalamt die Zusammenarbeit mit dem Mann hervorhebt, hält ihn die Verteidigung für wenig glaubwürdig.
Gab es die Anschlagspläne vielleicht überhaupt nicht? Der damals 29 Jahre alte Dasbar W. galt zumindest als Gefährder, die Sicherheitsbehörden hatten ihn vor der Festnahme über längere Zeit gezielt observiert. Innenminister Thomas Strobl war sich der Sache damals ganz sicher, er lobte die Spezialkräfte der baden-württembergischen Polizei, denen „ein wichtiger Schlag gegen den islamistischen Terror gelungen“ sei.
Ohne Anschlagsplanung und IS-Anhängerschaft bliebe ein weiterer Vorwurf gegen den Angeklagten: Er soll auch IS-Propaganda-Videos erstellt und auf mehreren Internetplattformen verbreitet haben. In einer Chatgruppe soll er laut Generalbundesanwaltschaft andere „im Sinne der Ideologie der Terrororganisation“ motiviert haben. Das räumt auch Verteidiger Jüdt ein. Hier sei die entscheidende Frage, welche Absicht dahinter steckte, sagt er. Mitglied des „IS“ sei der Mann aber nicht gewesen.
Natürlich weckt der Plan Erinnerungen an den Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt mit insgesamt zwölf Toten nur ein Jahr vor dem Zugriff in Karlsruhe. Damals hatte der tunesische Attentäter Anis Amri einen gekaperten Lastwagen auf dem Breitscheidplatz in die Menge rund um die Stände gesteuert. Es zwingt sich aber auch ein Vergleich auf mit einem angeblichen Anschlagsplan in Düsseldorf vor etwa fünf Jahren. Damals hatte ein Syrer behauptet, von der IS-Führung den Auftrag für einen Anschlag in der Altstadt erhalten zu haben. Dabei sollten sich zwei Selbstmordattentäter in die Luft sprengen und acht weitere Terroristen mit Kalaschnikows möglichst viele flüchtende Menschen erschießen. Später widerrief der Mann seine Aussage, er hatte sich für seine falschen Informationen einen Status als V-Mann erhofft. Zwei Mitangeklagte wurden nach eineinhalb Jahren in Untersuchungshaft freigesprochen.
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