Baden-Baden (dpa/jal) – Ein Mädchen übernachtet beim Spielplatzfreund und wird grausam ermordet. Der Gastvater soll es gewesen sein. Im Prozess schweigt er. Wenn am Dienstag das Urteil fällt, bleibt eines ungeklärt: Warum?
Es war nicht geplant, aber die Kinder bettelten so sehr. Die Mutter lässt sich überreden. Ihre sechsjährige Tochter darf beim Spielplatzfreund übernachten. Ein letzter Kuss, ein liebevoller Abschied: «Ich habe sie umarmt und ihr gesagt, dass wir uns morgen wiedersehen», erinnert sich die Mutter an jenen Samstag vor Weihnachten vor einem Jahr. Sie sieht ihr Kind nicht lebend wieder. Das Mädchen wird Opfer eines entsetzlichen Verbrechens.
Unter Verdacht ist der Gastvater. Vor dem Landgericht Baden-Baden muss sich der 34-Jährige unter anderem wegen Mordes verantworten. Er soll die Sechsjährige in der Nacht zum 19. Dezember vergangenen Jahres in seiner Wohnung in Baden-Baden mit einem Messer getötet und sich an der Leiche vergangen haben. Der Mann schweigt.
Am kommenden Dienstag (15.30 Uhr) wird das Urteil gesprochen. Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass die Beweismittel für eine Verurteilung ausreichen. Sie wirft dem gelernten Straßenbauer unter anderem Mord, Störung der Totenruhe sowie versuchten Mord in vier Fällen vor; sie fordert eine lebenslange Haftstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Die Anwälte der Nebenkläger, darunter die Mutter und der Vater des getöteten Mädchens, hatten sich dem in nicht öffentlicher Sitzung weitgehend angeschlossen. Der Pflichtverteidiger wollte auf einen Antrag zum Strafmaß verzichten.
Der Angeklagte galt als liebevoller Vater und als zuverlässig. Er war bei Kindern beliebt. Die Sechsjährige hatte schon zweimal davor mit anderen Kindern bei dem Spielplatzfreund übernachtet. Die Mutter des Mädchens kannte den Mann vom Spielplatz. Nichts deutete für sie darauf hin, dass ihre Tochter bei ihm in Gefahr sein könnte.
Umso entsetzlicher ist das, was die Staatsanwaltschaft auflistet. Der Angeklagte soll das Mädchen im Schlafzimmer erst mit einem Schnitt durch die Kehle getötet, sich an der Kinderleiche mehrfach und massiv sexuell vergangen und das tote Mädchen dann im Intimbereich verstümmelt haben. Danach soll er Feuer gelegt haben, um die Tat zu vertuschen – obwohl vier Verwandte im Haus schliefen, darunter sein sechsjähriger Sohn. Ermittler sind schockiert von den Verletzungen, die dem kleinen Mädchen zugefügt wurden. Und vom vielen Blut am Tatort.
Dass der nicht vorbestrafte Deutsche die Tat begangen hat, davon gehen alle Prozessbeteiligte aus. Doch was war der Auslöser? Der Mann mit den kurzen dunkelblonden Haaren und dem auffälligen Hals-Tattoo sagt nichts. Die Auflistung der unerträglichen Details seitens der Staatsanwaltschaft und Zeugenaussagen verfolgt er aufmerksam, aber weitgehend unbewegt. Ab und zu schüttelt er den Kopf. Gericht, Staatsanwaltschaft, sechs Nebenklägervertreter und die Zuhörer im Saal, darunter Nachbarn und Bekannte des Mädchens, warten vergeblich auf einen Erklärungsansatz. Der Untersuchung durch einen Psychiater stimmt der Angeklagte nicht zu. Ein Gutachter muss sich so ein Bild im Prozess machen. Für eine verminderte Schuldfähigkeit spricht aus seiner Sicht nichts. Pädophilie ist nicht festzustellen. Der Angeklagte wuchs im Heim auf, doch er führte nach einem schwierigen Start ein unauffälliges Leben. Vor der Tat soll er Pornos geschaut haben. Danach soll er versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Was das Verbrechen auslöste, konnte auch nach zehn Verhandlungstagen nicht geklärt werden.
Wenn ungeklärt bleibt, was ohnehin unerklärlich ist, ist das vor allem für Angehörige in ihrem unermesslichen Leid schwer. Der Vater des Mädchens hofft bis zuletzt, dass der mutmaßliche Mörder sein Schweigen bricht. Vergeblich. Sein Anwalt weiß um die Grenzen eines Strafprozesses, bedauert aber: «Der genaue Tatablauf bleibt ein Mysterium.» Manche Sachen, sagt der Pflichtverteidiger des Angeklagten, kann man nicht verstehen.