Region (lea) – So oft es geht, sind sie in den Straßen Pforzheims unterwegs, verteilen Essen und spenden Trost. Sandra Cirillo, Tony Simone und Stefan Lehrer hören zu, wo die meisten wegschauen: Sie sind sogenannte Streetworker. Bei den Obdachlosen Pforzheims besser bekannt unter dem Namen „Pforzheimer Straßenengel“. Die drei Ehrenamtlichen kämpfen seit Beginn der Initiative um mehr Anerkennung und Hilfe für Obdachlose. Unterstützung seitens der Stadt oder der Kirchen bleibt aus.
„Diese Leute, die haben alle eine Vergangenheit“, betont Tony Simone. Im Arbeitsalltag eigentlich Abteilungsleiter, hilft er seit einigen Jahren auf den Straßen Pforzheims. Seine Arbeit und die seiner zwei Mitstreiter ist genauso divers wie die Menschen, die sie betreuen. Decken verteilen, Sonnencreme oder Wasser. Was eigentlich genau benötigt wird, merken die Straßenengel oft erst während ihrer Einsätze.
Eine Sache haben sie aber immer dabei: Ein offenes Ohr. „Es braucht seine Zeit, bis man ihr Vertrauen gewinnt, aber wenn man es mal gewonnen hat, dann öffnen sich die Obdachlosen richtig“, sagt Simone. „Manchmal investieren wir so viel Zeit und reden nur mit ihnen. Sie erzählen uns dann von ihrem Privatleben, oder ihrem Entzug.“ Oder über den Tod ihres Partners. „Dass Leute ihren Partner verloren haben, weil der auf der Straße erfroren ist, das habe ich schon erlebt“, berichtet Simone bedrückt.
„Street workerin wollte ich schon immer werden“, sagt Sandra Cirillo. Während der Pandemie habe sie angefangen, den Obdachlosen Essen und Kleidung vorbeizubringen. Heute freut sie sich, als Team helfen zu können. Die Geschichten der Menschen treiben Cirillo an. Schon immer habe sie wissen wollen, warum Menschen plötzlich auf der Straße leben. Durch ihre jahrelange Arbeit weiß sie jetzt: Die Gründe sind vielfältig.
„Oft liegt es daran, dass die Häuser, in denen Obdachlose unterkommen könnten, strenge Vorschriften haben. Zum Beispiel dürfen sie keinen Alkohol oder ihre Hunde mitnehmen“, sagt sie. Das schrecke viele ab, die gerne in Freiheit leben möchten. Auch mangelnde Deutschkenntnisse und das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden, seien Motive, auf der Straße zu leben.
Simone hat in seinem Ehrenamt seinen Seelenfrieden gefunden. „Ich will diesen Leuten helfen, jeder hat Würde verdient – egal, ob vollgesoffen oder zugepumpt mit Drogen“, sagt er. Und wenn er das Leuchten in den Augen der Obdachlosen sieht, blühe er regelrecht auf. Jedes Mal werde er mit einer Welle der Dankbarkeit begrüßt. „Das erfüllt mich, es ist Balsam und ein Ausgleich zu meinem eigentlichen Beruf als Abteilungsleiter.“
Herausfordernd und emotional belastend ist das Ehrenamt für die Engel aber trotzdem. „Am Anfang, als ich das erste Mal unterwegs war, da dachte ich mir nur ‚Oh mein Gott, das schaffe ich nicht‘“, erinnert sich Simone. Immer wieder muss er sich daran erinnern, Geschichten aus den Straßen Pforzheims nicht mit nach Hause zu tragen. Einen klaren Schnitt zu setzen zwischen seinem Privatleben und seiner Hilfe fällt ihm noch heute schwer. „Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Bei mir fließen da auch manchmal die Tränen, wenn ich den Menschen zuhöre“, sagt er.
Das Schlimmste aber, sagt Cirillo, sei der Blick der Außenstehenden. „Obdachlose, Assi, Penner – solche Worte fallen schon oft. Ich finde das grauenvoll. Das sind doch auch nur Menschen.“ Die Leute ekeln sich, sie haben Berührungsängste. Aber das Klischee, dass Obdachlose aggressiv seien, das stimme einfach nicht, betont die street workerin. Sie wünscht sich mehr Unterstützung. Von Außenstehenden, aber auch von Ämtern und karitativen Einrichtungen.
„Wir haben mal die evangelische Kirche gefragt wegen einem Weihnachtsessen in ihren Räumen, aber die wollten 500 Euro Miete und noch mal genauso viel Kaution. Das können wir uns nicht leisten. Die katholische Kirche hat uns dann in einem Gespräch vermittelt, dass sie schon ohne uns genug machen würden.“ Von der Stadt Pforzheim fühlen sich die Straßenengel im Stich gelassen. „Zumindest leerstehende Asylantenheime könnte man doch für Obdachlose öffnen“, findet Cirillo.
Abends, nach ihrer Rundfahrt durch die Stadt, sind die Gedanken oft bei den Menschen, die sie getroffen haben, berichten die Ehrenamtlichen. Das sei eigentlich ein schönes Gefühl, finden sie. „Denn dann wissen wir, dass wir geholfen haben.“