Baden-Baden (dpa/lsw) – Baden-Baden gehört zu den schönsten Städten im Südwesten. Der Kurort im Schwarzwald hat heiße Thermen, eine berühmte Spielbank, das größte deutsche Opernhaus und neuerdings den Unesco-Welterbe-Titel. Schlagzeilen macht die Stadt seit zwei Wochen aber nicht mit ihren Sehenswürdigkeiten, sondern mit der Oberbürgermeisterwahl. An diesem Sonntag ist die Neuwahl. Es wird mit einem spannenden Duell zweier Bürgermeister gerechnet – und gehofft, dass endlich wieder Ruhe einkehrt. Wirbel hatte die erste OB-Wahl am 13. März ausgelöst: Kein Kandidat schaffte da die notwendige absolute Mehrheit. Amtsinhaberin Margret Mergen, sichtlich erschüttert, erreichte nur 24,7 Prozent der Stimmen. Zu spröde, zu einsam in ihrem Job, hört man aus der Stadt zu möglichen Gründen. Zwei Tage später warf sie das Handtuch. Selbst Mitarbeiter im Rathaus erfuhren davon erst über ihre „persönliche Erklärung“ via Facebook.
Dass Amtsinhaber abgewählt werden, ist in Baden-Württemberg eher die Ausnahme. Nach einer Untersuchung des früheren Leiters des Statistischen Amtes der Stadt Stuttgart, Thomas Schwarz, wurden bei 1088 Bürgermeisterwahlen zwischen 2010 und 2017 nur acht Prozent der Amtsinhaber nicht wiedergewählt. Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider verweist aber auf Beispiele in Ludwigsburg, Göppingen und Freiburg. „Mein Eindruck zu OB-Wahlen ist: In letzter Zeit kommt es häufiger vor, dass Amtsinhaber nicht wiedergewählt werden.“ Und es gibt mehr Gegenkandidaten als früher.
In Baden-Baden waren es in der ersten Runde acht. Mit Abstand am meisten Stimmen – 39,6 Prozent – errang einer, den zuvor niemand richtig auf dem Plan hatte: Muggensturms Bürgermeister Dietmar Späth (parteilos). In seiner 6000-Seelen-Gemeinde im Kreis Rastatt hat er schon drei Wahlen mit Traumergebnissen zwischen 96 und fast 99 Prozent gewonnen. Seine Kommune wurde als eine der zehn besten Behörden Deutschlands für Entbürokratisierung und wirtschaftliches Handeln ausgezeichnet.
Der 58-jährige Diplom-Verwaltungswirt spielt in der Nationalelf der Bürgermeister, war als Student Croupier im Casino Baden-Baden, liebt schnelle Autos und heiße Öfen – und ist vor allem eines: das Gegenteil zur amtierenden Rathauschefin. Im Wahlkampf fiel Späth mit vielen Plakaten und als Rosenkavalier auf: Er brachte große Mengen roter Rosen unters Volk. „Ich freue mich, wenn ich Menschen eine Freude bereiten kann“, sagt er. Süßes vor der Schule kam aber nicht bei allen Eltern an.
Auf den dritten Platz – nach Mergen – kam Sozialbürgermeister Roland Kaiser (Grüne/56) mit 23,9 Prozent. Der gelernte Maschinenschlosser und Diplom-Sozialarbeiter gilt als fleißiger und solider Politiker mit Vorliebe für Natur und Kultur. Die beiden Bürgermeister gehen als Favoriten in die Neuwahl, bei der eine einfache Mehrheit zum Sieg reicht. Auch Betriebswirtin Bettina Morlok (parteilos/59 Jahre/5 Prozent) und der frühere Leiter der städtischen Galerie Fruchthalle Rastatt, Peter Hank (Die Basis/67 Jahre/1,7 Prozent) treten noch einmal an.
Mit Störfeuer hatten beide Bürgermeister in den letzten Tagen zu kämpfen. So sah sich Kaiser für einen Tag mit einer Konkurrentin aus den eigenen Reihen konfrontiert: Beate Böhlen, Bürgerbeauftragte des Landes und langjährige Gemeinderätin der Kurstadt, sah nach dem Rückzug von Mergen eine Chance. Abgesprochen war das nicht. Auf Druck der Grünen-Parteikollegen ruderte sie zurück. Einen guten Eindruck mache das bei Wählern nicht, befürchtet Kaiser. „So was könnte Politikverdrossenheit fördern.“ Andererseits könnte das Geschehen die Aufmerksamkeit auf einen eher sachlichen, aber gut vernetzten Politiker lenken, dessen Hauptjob es gerade ist, sich um die Unterbringung einer großen Zahl von Ukraine-Flüchtlingen zu kümmern.
Späth wiederum holte ein über drei Jahre zurückliegendes „Gentlemen’s Weekend“ der Zeitschrift „Playboy“ auf Mallorca ein. Die Sause mit Harleys, Monatsschönsten und einem Jahrhundert-Playmate war ein Weihnachtsgeschenk seiner Frau, sagt er. „Eine völlig harmlose Geschichte.“ Späth sieht sich dem Versuch eines Rufmords ausgesetzt, denn zugleich wabern Gerüchte, wonach angeblich fragwürdige Geldgeber Späths aufwendige Wahlkampagne finanzieren. Gelaufen ist das Rennen für keinen. „Bei einer Neuwahl sortieren sich Mehrheiten neu“, weiß Brettschneider. Offen ist, inwieweit Nichtwähler der ersten Runde – über 58 Prozent – mobilisiert werden können und wem die 24,7 Prozent von Mergen zugute kommen.
Wer auch immer am Sonntag als Sieger hervorgeht, steht vor großen Herausforderungen. Die Stadt muss sich, wie andere Kommunen auch, mit den Corona-Folgen herumschlagen. Zugleich ist mit dem Ukraine-Krieg eine wichtige Kundschaft weggebrochen: Gäste aus der früheren Sowjetunion, die sonst zum Kuren in den Schwarzwald kommen und für hohe Umsätze in Geschäften und Hotels sorgen. Dafür stranden nun in dem Kurort mit seiner über 200-jährigen russischen Tradition sehr viele Ukraine-Flüchtlinge: Bis Donnerstag kamen rund 1300 in den 56 000-Einwohner-Ort. Und es dürften mehr werden.
https://www.die-neue-welle.de/display-news/dietmar-spaeth-bei-der-ob-wahl-in-baden-baden-vorne