Region (pm/svs/dpa) – Schon seit einigen Tagen ist bekannt, dass im Südwesten Notfallpraxen geschlossen werden sollen. Heute hat die Kassenärztliche Vereinigung ihr Konzept vorgestellt und es trifft auch die Notfallpraxen in Nagold, Ettlingen und Neuenbürg – diese werden endgültig geschlossen. Aber die Reform hat auch Auswirkungen auf die Städte Karlsruhe, Pforzheim und Freudenstadt.
Der Beschluss der Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) einige weitere Notfallpraxen in Baden-Württemberg zu schließen hat nun auch die Region getroffen. Aber warum ist die Reform überhaupt nötig? Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Karsten Braun, meint:
Wir stehen vor gravierenden Herausforderungen in der ambulanten Versorgung. Insgesamt sind aktuell 1.125 Arztsitze, davon alleine 963 Hausarztsitze im Land nicht besetzt. Uns steht eine Ruhestandswelle bevor, wenn die Babyboomer aus der Versorgung ausscheiden. Mehr als 3.750 Mitglieder in den Praxen sind über 65 Jahre alt und können jederzeit völlig verdient in den Ruhestand gehen – doch das bei Weitem nicht immer mit einer gesicherten Nachfolge. Der Praxisalltag wird zunehmend durch Ärztinnen und Ärzte in Teilzeit und als Angestellte bestimmt. All das belastet die verbliebenen Ärztinnen und Ärzte im Bereitschaftsdienst erheblich, da Angestellte keiner Dienstverpflichtung unterliegen.
Konkret treffen diese Pläne die Notfallpraxen in Nagold, Ettlingen und Neuenbürg – sie schließen komplett. Aber auch für größere Städte wie Karlsruhe, Pforzheim und Freudenstadt ändert sich einiges. Hier gab es bisher neben einer allgemeinen Notfallpraxis auch noch eine Notfallpraxis für Kinder und Jugendliche – auf zweitere muss in den drei Städten künftig verzichtet werden.
Besonders hart trifft die Reform das sehr ländlich geprägte Nagold. Notfallpraxen werden ausschließlich von der KVBW betrieben, was bedeutet, dass der Landkreis Calw keinen Einfluss auf die Schließung dieser Einrichtungen hat, da solche Entscheidungen allein von der KVBW getroffen werden. Die Schließung einer solchen Einrichtung führt zu Besorgnis über die medizinische Versorgung der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Regionen, wo der Zugang zu ärztlicher Hilfe außerhalb der regulären Zeiten von großer Bedeutung ist.
Landrat Helmut Riegger: „Die Schließung der Notfallpraxis gefährdet die medizinische Versorgung der Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Calw. Wir können es uns nicht leisten, die ambulante Notfallversorgung so unkoordiniert zu schwächen. Der Landkreis Calw ist ein ländlich geprägter Flächenlandkreis und auf beide Notfallpraxen – sowohl in Calw als auch in Nagold – zwingend angewiesen. Jährlich werden in beiden Notfallpraxen jeweils rund 5000 Patienten versorgt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man die Versorgungslage der Menschen in einem Flächenlandkreis derart unterschätzen kann.“
Bereits letzte Woche hatte sich Landrat Helmut Riegger mit einigen weiteren Landräten und Landrätinnen aus Baden-Württemberg in einer Initiative mit einem Schreiben an den Minister für Soziales Gesundheit und Integration Manfred Lucha gewandt. Minister Lucha ist zuständig für die aktuelle und zukünftige Beurteilung der gesetzlichen Sicherstellung der KVBW. In dem Schreiben äußerten sich die Landräte und Landrätinnen gemeinschaftlich sehr kritisch und besorgt über die zu diesem Zeitpunkt noch geplanten Schließung der Notfallpraxen. Die Initiative bot der KVBW an, in einen gemeinsamen Dialog zu gehen. Voraussetzung dafür sei aber, dass das Sozialministerium Baden-Württemberg dies unterstützt und nicht der Eindruck entsteht, dass die KVBW tun und lassen kann, was sie will.
Trotz dieses Angebotes kam es zur Schließung der Praxis im Gebäude des Krankenhauses Nagold. Landrat Riegger ergänzt: „Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Kassenärztliche Vereinigung bei ihren Entscheidungen die Realität in den jeweiligen Regionen berücksichtigt. Parameter wie Bevölkerungsdichte, Erreichbarkeit und die Verfügbarkeit von Hausärzten sollten in die Planungen miteinbezogen werden. Die selbstgewählten Kriterien der KVBW, wie eine maximale Fahrzeit von 30 oder 45 Minuten, sind in vielen Regionen unrealistisch, da sie die Lebenswirklichkeit vieler Menschen ignorieren. Beispielsweise haben nicht alle Bürger einen eigenen Pkw und die Fahrt mit dem ÖPNV gestaltete sich aus kleineren Ortschaften länger als 30-45 Minuten.“
Ein ebenfalls kritischer Punkt ist die Überlastung der Notaufnahme. Durch die Schließung der Notfallpraxis werden die Bürger in der Not auf das Krankenhaus ausweichen. Auch hier ist aufgrund des Fachkräftemangels nur eine begrenzte Anzahl an medizinischem Personal vorhanden. Landrat Riegger: „Es darf nicht sein, dass die Menschen im ländlichen Raum aufgrund mangelnder Einrichtungen im Stich gelassen werden. Die Gesundheitsversorgung muss verlässlich und flächendeckend für alle verfügbar bleiben.“