Stuttgart (dpa/tk) – Sie pappen auf dem Weg zum Machu Picchu, an einer Bucht in Neuseeland und in US-Nationalparks die Aufkleber «Nett hier – aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg». Für die Sticker gibt es Sammelseiten im Internet. Und sie haben Nachahmer.
Diese Entwicklung haben die Erfinder aus der Werbeagentur Scholz & Friends 2001 nicht kommen sehen, als der Spruch zum ersten Mal auf einem Linienbus in Berlin und später auf Zügen und Stadtbahnen zu lesen war. «Sowas kann man nicht planen. Man kann mit einer starken und ungewöhnlichen Idee nur die DNA mitgeben, dass es passieren kann», sagt Chief Creative Officer Matthias Spaetgens. «Als der Satz geboren wurde, gab es noch kein Social Media.»
Ziel war es damals, eine Sympathie-Kampagne für Baden-Württemberg zu entwickeln. Mit dem unliebsamen Streber-Image der Schaffer und Häuslebauer sollte Schluss sein, wie Spaetgens sagt. «Die Grundidee ist vielleicht ein bisschen Größenwahn und Angeberei, die aber verziehen wird, weil sie mit einem Augenzwinkern geerdet wird.» Mit dieser Art von Eigen-PR sei Baden-Württemberg unter den Bundesländern damals Pionier gewesen.
Das Ergebnis «Wir können alles. Außer Hochdeutsch.» dürfte vielen etwas sagen. Aber während das Motto inzwischen von der Dachmarkenkampagne «The Länd» abgelöst wurde, leben die «Nett hier»-Sticker weiter. Im neuen knallgelben Look. Und seit mehr als einem Jahr auch auf Englisch: «Not bad. But have you ever been to Baden-Württemberg?»
Über 150.000 Exemplare davon wurden laut dem Staatsministerium schon versendet und noch mehr auf Messen und anderen Veranstaltungen verteilt. Bei der deutschen Version hat keiner so richtig mitgezählt, vermutlich sind mittlerweile mehrere Millionen im Umlauf. «Die Auflage richtet sich letztlich nach der bislang nicht enden wollenden Nachfrage», erklärt ein Sprecher. Die Sticker kann man kostenlos im Onlineshop von «The Länd» bestellen. Die jährlichen Ausgaben variierten je nach Bestellmengen. Genaue Zahlen bleiben geheim.
Die materielle Grundlage ist also da, dass die Aufkleber zum Kultobjekt werden und sich ausbreiten. Dass das tatsächlich funktioniert, ist auch eine Frage des Community-Managements, wie Marketing-Professorin Anja Forster von der Hochschule Pforzheim sagt. Es gehe um gemeinsame Werte, Baden-Württemberger seien stolz auf sich.
Auch Unternehmen nutzten Fans, um die eigene Marke weiterzutragen, sagt die Expertin. Der Motorrad-Hersteller Harley-Davidson etwa habe eine «Owners Group». «Die Mitglieder werden auf diese Weise zu einer eingeschworenen Gemeinschaft», erklärt Forster. Bei der Hotelkette Ritz-Carlton hätten die Mitarbeitenden einen bestimmten Geldbetrag einsetzen können, um die Zufriedenheit der Gäste zu steigern. Empowerment nennt man das.
An den «Nett hier»-Stickern findet Forster charmant, dass die Zügel locker gelassen werden. Die Landesregierung steuert nicht, wo sie platziert werden sollen. Aus Umweltschutzgründen wäre es dem Staatsministerium allerdings lieber, die Aufkleber nur auf eigenem Hab und Gut zu hinterlassen: «Damit Ausflugsziele und touristische Orte natürlich schön bleiben, empfehlen wir unserer Community, die Sticker in der Hand zu halten und so zu fotografieren.»
Dass das nicht passiert, sondern stattdessen die Sticker quasi überall zu finden sind, macht die Klebenden gewissermaßen zu Markenbotschaftern, wie Forster erläutert. Und dass Fotofunde der Aufkleber im Internet auftauchen, mache den Erfolg des eigenen Handelns sichtbar. Da sei ein regelrechter Wettstreit entstanden, sagt Spaetgens von Scholz & Friends. Hier würden menschliche Urtriebe bedient. «Wir sind eben Jäger und Sammler.»
Heutzutage würden Kampagnen sogar so konstruiert, dass sie in sozialen Netzwerken möglichst durch die Decke gehen, sagt der Werbe-Fachmann. Das klappt nicht immer – aber selbst wenn: «Die meisten Hypes sind von kurzer Dauer, nicht so wie dieser hier – das ist ein kreativer Dauerbrenner.» Auch Professorin Forster spricht von einer «absolut erfolgreichen Kampagne».
Die findet auch Nachahmer. Mal wird der «Nett hier»-Spruch verballhornt, um sich über Baden-Württemberg lustig zu machen. Mal wird anderes beworben. Zwei Studenten haben als Hobbyprojekt die Internetseite nett-hier.app erstellt, auf der man eigene «Nett hier»-Sticker entwerfen kann. «Entstanden ist die Idee vor einigen Monaten daraus, dass wir bei einem Auslandsaufenthalt darauf aufmerksam wurden, dass einige Menschen ihr kleines Dorf oder ihren Sportverein repräsentieren wollen», schreiben Jonas und David.
Viele der nun erstellten Sprüche seien eher auf kleinere Städte gemünzt. Bei einem Großteil der Aufkleber handele es sich zudem um eine Art Promotion für kleinere Events wie ein Schützenfest, erklären sie. «Wir achten selbstverständlich darauf, keine geschützten Inhalte wie beispielsweise einige Landeswappen oder geschützte Markenzeichen zu verwenden.»
Auf Abgrenzung zum offiziellen Merchandise-Sortiment legt auch das Staatsministerium wert. Abmahnungen oder dergleichen gab es dem Sprecher zufolge bisher aber nicht. Grundsätzlich freue sich die Landesregierung, zig Organisationen, Unternehmen und Privatleute inspiriert zu haben. «Die Kampagne „The Länd“ ist eine partizipative Kampagne.»
Und was empfinden die Erschaffer, wenn es einen derartigen Erfolg gibt? Spaetgens bleibt bescheiden: «Man freut sich einfach nur.»