Karlsruhe/Berlin (dpa/lk) – Vor dem Bund-Länder-Treffen am Mittwoch mehren sich Berichte darüber, dass die Corona-Maßnahmen zum Teil um weitere zwei Wochen verlängert werden sollen. Nach ARD-Informationen hat sich unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel intern dafür ausgesprochen. Den Berichten zufolge sind mögliche Lockerungen bei Geschäften, Gastronomie und Freizeiteinrichtungen erst ab März geplant. Kitas, Grundschulen und Friseure sollen dagegen womöglich ab Mitte Februar wieder öffnen.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich gegen jegliche Öffnungsschritte beim aktuellen Corona-Lockdown bis zum 1. März ausgesprochen. Die Zeit, in der die britische Virusvariante noch nicht die Oberhand gewonnen habe, sei entscheidend, um mit aller Kraft die Infektionszahlen herunter zu bekommen, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur. Ihre Auffassung sei aus diesem Grund, dass man mit jeglichem Öffnungsschritt bis zum 1. März warten solle, so Merkel. Dies sei für Eltern und andere Betroffene schwer. Man könne dann aber Öffnungsschritte „mit besserem Gewissen machen“. Darüber gebe es noch Differenzen, räumte die Kanzlerin vor ihren Beratungen mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch ein. Merkel sagte, sie erwarte, dass die britische Variante des Virus in wenigen Wochen auch in Deutschland die dominante sein werde.
Schulen und Kitas sind in den Beratungen das ewige Streitthema. Denn die Schulschließungen könnten für viele Schüler nach Ansicht von Experten weitreichende negative Folgen haben. Sie führten nicht nur zu Leistungsverlusten, sondern gerade für Kinder „aus bildungsfernen Schichten“ sei Schule oft einer der wichtigsten sozialen und emotionalen Bezugspunkte. Für diese Schüler und kleine Kinder, für die digitales Lernen keine Alternative sei, würden die Risiken überproportional wachsen. Für viele sei der Anschluss ans Lernen und das Schuljahr einfach nicht mehr zu schaffen. Bei den betroffenen Schülern wachse die Gefahr, keinen Schulabschluss oder zumindest den angestrebten Abschluss nicht mehr zu erreichen. Das bedeute massiv verschlechterte Zukunftschancen und eine zunehmende soziale Spaltung.
Auch die Friseure schlagen Alarm angesichts des wochenlangen Lockdowns. Für die Inhaber der 80.000 Salons sei die wirtschaftliche Situation zum Teil dramatisch, es gehe um das schiere Überleben sehr vieler Betriebe. „Vor allem unter dem Gesichtspunkt der Pandemiebekämpfung ist die Schwarzarbeit in unserem Handwerk zwischenzeitlich zu einem echten Problem geworden“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, Jörg Müller. Der Zentralverband betone deshalb mit Nachdruck, dass Friseurdienstleistungen nur in professionellen Salons sicher sein könnten. Die Friseursalons mussten Mitte Dezember schließen. In allen Bundesländern hätten Friseure Eilanträge bei den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten eingereicht, um gerichtlich überprüfen zu lassen, ob die Schließung der Friseursalons rechtlich einwandfrei ist.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer sagte der dpa: „Damit Betriebe planen können und eine Perspektive erhalten, sollte endlich ein bundesweites Ampel-System für Corona-Entscheidungen nach regionaler Inzidenz in Kraft treten.“ Ein Öffnungsplan müsse eindeutige Voraussetzungen festlegen, unter denen Betriebe wieder arbeiten könnten. „Wir fordern die schnellstmögliche Öffnung besonders der direkt von Schließungen betroffenen Handwerksbetriebe, die mit ausgeklügelten Hygienekonzepten ihrer epidemiologischen Verantwortung in jedem Fall Rechnung tragen.“
Der Dachverband der IHK Baden-Württemberg fordert ebenfalls eine verlässliche Perspektive. „Es muss eine Öffnungsstrategie auf den Tisch, die aufzeigt, wann und unter welchen Bedingungen das wirtschaftliche Leben in der Breite wieder hochgefahren werden kann“, so Wolfgang Grenke, Präsident der IHK Karlsruhe und des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages. Viele regionale Betriebe seien in ihrer Existenz bedroht, darunter etwa der stationäre Einzelhandel, körpernahe Dienstleistungen, das komplette Gastgewerbe, die Reise- und Freizeitwirtschaft sowie Kultureinrichtungen. In der Region Karlsruhe sind Betriebe aus den Branchen Tourismus, MICE (Messen, Incentives, Kongresse und Events), vom Kulturbetrieb abhängige Dienstleister und konsumnahe Dienstleister wie beispielsweise Soloselbständige betroffen. Täglich erhielte die IHK zahlreiche Hilferufe von betroffenen Unternehmen. Die Nerven würden blank liegen und die Liquiditätsreserven seien vielfach aufgebraucht.
In der Gastronomie und im Handel wird die Stimmung angesichts des wochenlangen Lockdowns immer schlechter. Branchenverbände drängen auf einen Fahrplan für Öffnungen. Bund und Länder müssten eine klare Öffnungsperspektive schaffen, forderte der Handelsverband Deutschland. Ein Stufenplan für den Weg aus dem Lockdown müsse für den Einzelhandel auch bei Inzidenzwerten über 50 Lockerungsmaßnahmen vorsehen, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Denkbar wären Öffnungen unter noch strengeren Vorgaben für die maximale Kundenzahl oder verschärfte Hygieneregeln“, so Genth. Diese könnten bei weiter sinkenden Corona-Zahlen gelockert werden.
„Stimmung und Lage im Gastgewerbe sind katastrophal“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, Ingrid Hartges. „Verzweiflung und Zukunftsängste machen sich in der Branche breit. 75 Prozent der Betriebe bangen um ihre Existenz.“ Die Novemberhilfen seien erst bei rund 60 Prozent der Betriebe angekommen. Auch der Handelsverband berichtete davon, dass die Lage vieler Einzelhändler im Lockdown verzweifelt sei. „Nach wie vor kommt das Geld aus den staatlichen Hilfsprogrammen nicht ausreichend an“, sagte Genth. „Gerade der Modehandel weiß oft nicht mehr, wie es weitergehen soll.“
Baden-Württembergs Landessportverband setzt sich für Lockerungen im Breitensport ein. „Für uns ist wichtig, dass wir langsam und kontrolliert wieder in einen geregelten Sportbetrieb zurückkehren“, sagte Präsidentin Elvira Menzer-Haasis. Die sozialen und gesundheitlichen Folgen des Sports insbesondere für ältere Menschen sowie Kinder und Jugendliche sollten aus ihrer Sicht eine größere Rolle in den Überlegungen spielen. „Der Wert des Sports darf nicht weiter in den Hintergrund gedrängt werden“, sagte Menzer-Haasis: „Sport kann wie eine kleine Impfung wirken.“ Ein geordneter Sportbetrieb sei momentan wichtiger denn je. Derzeit ist der Freizeit- und Breitensport weitestgehend verboten, ausgenommen von der Regelung ist teilweise Individualsport wie Laufen.
Mögliche Öffnungsschritte nach dem Lockdown müssen aus Sicht der CDU-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl, Susanne Eisenmann, von wesentlich mehr Schnelltests begleitet werden. Die Teststrategie des Landes müsse deutlich erweitert werden, sagte Eisenmann. „Die zweite Welle ist gebrochen, die Infektionszahlen gehen in die richtige Richtung – nämlich nach unten“, sagte sie. „Für schnelle und breite Öffnungen ist es derzeit aber noch zu früh. Angesichts der Corona-Mutanten müssen wir wachsam und vorsichtig bleiben und mögliche Öffnungsschritte mit wesentlich mehr Schnelltests flankieren.“ Eisenmann und Gesundheitsminister Manne Lucha hatten sich vergangene Woche darauf geeinigt, Lehrern und Erziehern, die in Präsenz arbeiten, zwei Schnelltests pro Woche bis Ostern anzubieten. Mit der Aufstockung der Tests soll eine Öffnung von Kitas und Grundschulen nach den Faschingsferien am 22. Februar begleitet werden.
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb einer Woche nähert sich in Baden-Württemberg der wichtigen Schwelle von 50. Die sogenannte 7-Tage-Inzidenz lag landesweit bei 59,2, wie das Regierungspräsidium Stuttgart am Montagabend mitteilte. Das Ziel der Politik ist es, die Zahl der Neuinfektionen landesweit auf unter 50 zu drücken – nur dann seien die Gesundheitsämter in der Lage, alle Kontaktpersonen nachzuverfolgen, heißt es. Bereits seit knapp fünf Wochen flacht die Zahl der Corona-Neuinfektionen landesweit ab. Mittlerweile liegen im Südwesten 18 Stadt- und Landkreise unter 50. Erstmals seit dem 10. Oktober hat auch die Landeshauptstadt Stuttgart mit 48,6 diesen Schwellenwert unterschritten. Aber vier Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg liegen über 100: der Hohenlohekreis (130,5), Heilbronn (115,3), der Landkreis Calw (105,5) und der Kreis Waldshut (103,5).