Region (lk) – Ein ganz kleines Stück Normalität ist zurückgekehrt: Nach rund 12 Wochen Lockdown haben Anfang der Woche Einzelhändler endlich wieder ihre Geschäfte öffnen dürfen. Oder können zumindest Terminshopping anbieten. Doch was ist mit der Gastronomie? Bei der Öffnung im Sommer hatten viele Betriebe massiv aufgerüstet, um Infektionen zu vermeiden. Hygienekonzepte mit Handdesinfektion, Personal das Gäste an die Tische bringt, Maskenpflicht, Adresse für die Kontaktnachverfolgung, spezielle Toilettenreinigung, Plexiglasscheiben am Tresen, QR-Codes statt Speisekarten und vielem mehr hatten gut funktioniert. Ansteckungen im Restaurant waren seltene Einzelfälle.
Die Einzelhändler in der Region haben seit dieser Woche teilweise wieder offen, doch die Gastronomen schauen weiter in die Röhre. Seit Anfang November sind Restaurants, Cafés und Kneipen geschlossen. Im vergangenen Jahr waren die Betriebe bereits von Ende März bis Mitte Mai zu. Und das trotz gut funktionierender Hygienekonzepte. Fred Puhlmann ist unter anderem Inhaber der Alten Brauerei Weingarten und vom Braustübl Hatz Moninger in Karlsruhe-Grünwinkel. Er sieht sich als Gastronom hinten angestellt. „Das hab ich noch nie erlebt – Weihnachten frei war zwar auch mal ganz schön, aber irgendwann macht es mürbe“, so Puhlmann. „Es herrscht einfach großes Unverständnis und Enttäuschung. Und es ist mittlerweile existenzbedrohend.“
Ähnlich sieht das auch Florian Bajraj, Inhaber des Restaurants Nigrum in Baden-Baden. „Die Situation momentan ist eine reine Katastrophe. Die Mitarbeiter sind jetzt seit einem Jahr in Kurzarbeit. Mit nur 70 Prozent vom Lohn fehlt denen natürlich Geld, wenn sie Familie und Kinder zu Hause versorgen müssen. Man will ja auch pünktlich seine Miete zahlen.“ Völliges Unverständnis überkommt Bajraj jedoch, wenn er am Wochenende in die Stadt geht und sieht, welche Menschenmassen sich beim Einkaufen tummeln. „Da ist es auf einmal scheinbar nicht mehr gefährlich. Am Gemüsestand wird nicht mal Abstand gehalten. Wir hatten im Restaurant dagegen 2 Meter Platz zwischen den Tischen.“
Wann die Gastronomen wieder öffnen dürfen, steht in den Sternen. Diese Ungewissheit zehrt an den Nerven – vor allem weil die Hygienekonzepte in der Vergangenheit ja funktioniert hätten, sagt Andreas Zordel. Er betreibt unter anderem das Hotel & Restaurant zur Alten Mühle in Neuenbürg. „Wir haben die Hygienekonzepte in Rücksprache mit den Ämtern durchgeführt und auch die Aufzeichnungen zur Nachverfolgung gesammelt. Letztendlich gab es in unseren sechs Gaststättenbetrieben keinen einzigen Vorfall.“ Zwar habe der Bund eine Öffnung der Außengastronomie ab dem 22. März in Aussicht gestellt, doch auch das sorge wieder für Verunsicherung: „Die Angst ist da, dass man Vorbereitet, Bestuhlt und die Mitarbeiter zurückholt und in vier Wochen wegen steigender Zahlen wieder zu machen muss.“ Allerdings denke er, dass wenn Biergärten wieder öffnen dürfen, dort auch „die Hölle los sein“ werde.
Die Öffnung der Gastronomie soll nach Ansicht der Bundesregierung durch Schnelltests flankiert werden. Wie genau das funktionieren soll, weiß aktuell aber keiner der drei Gastronomen. Fred Puhlmann steht vor vielen ungeklärten Fragen: „Wie läuft das praktisch ab? Bringt der Gast den Schnelltest mit oder müssen wir den zur Verfügung stellen? Muss der Gast ihn zu Hause bei sich machen und uns nur vorzeigen? Oder muss der bei uns gemacht werden?“ Auf Nachfrage beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband Baden-Württemberg wurde der neuen welle bestätigt, dass es hierzu noch keinerlei Konzept gebe. Pressesprecher Daniel Ohl sagte im Interview mit der neuen welle: „Die Tests können aber nicht auf die Betriebe abgewälzt werden. Es kann unmöglich jedem Gast, der kurz auf einen Kaffee reinkommt, ein Test angeboten werden.“ Tests seien aber eine gute Chance im Bereich Veranstaltungen, beispielsweise bei Familienfeiern oder Tagungen.
Ohl zeigt zwar auch Verständnis, für die Politik. „Die Entscheidungen sind schwierig, das muss man den Regierungen zugestehen.“ Allerdings könne es nicht sein, dass Einzelhandel, Friseuren und Baumärkten Perspektiven geboten würden, aber den Wirten nicht. „Sollte es bei den nächsten Beratungen am 22. März nicht zu Öffnungen kommen, rechnen wir mit massiven Klagen der Betriebe gegen die Ungleichbehandlung.“ Das RKI stufe das Infektionsrisiko in der Hotellerie als niedrig und in der Gastronomie als moderat ein. Trotzdem gebe es für die Hotellerie überhaupt gar keine Perspektive, während andere Branchen inzwischen öffnen dürften. „Die Unternehmer sind enttäuscht. In einem Jahr haben sie über sechs Monate Lockdown hinter sich. Die Verluste gehen in die Milliarden, die Schulden sind massiv gestiegen“, so Ohl. Jetzt müssten konkrete Öffnungsschritte her, denn „die Betriebe müssen wieder arbeiten, auch die Beschäftigten brauchen ihre Arbeit, um zu überleben.“