Stuttgart (dpa/lk) – Auch Baden-Württemberg gibt dem Öffnungsdruck nach: Stadt- und Landkreise mit niedrigen Corona-Zahlen dürfen stärker lockern. Doch die Zahl der Kreise mit einer Inzidenz von unter 50 schmilzt. Wird der Stufenplan womöglich noch unter einer dritten Welle begraben?
In Baden-Württemberg dürfen Stadt- und Landkreise mit niedrigen Infektionszahlen den Corona-Lockdown von Montag an stärker lockern. Darauf haben sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Susanne Eisenmann am Donnerstagabend geeinigt. Konkret heißt das: In Kreisen, die stabil unter 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen liegen, kann unter anderem der Einzelhandel schrittweise öffnen. Die grün-schwarze Koalition hatte lange darüber diskutiert, für Öffnungen die landesweite Inzidenz als Maßstab zu nehmen, um Einkaufstourismus zwischen den Kreisen und einen Flickenteppich zu vermeiden. Doch das hätte bedeutet, dass es auf Sicht kaum eine größere Lockerung gegeben hätte. Denn die landesweite Inzidenz steigt seit etwa zwei Wochen stetig und liegt mittlerweile bei 56,3.
Eisenmann verteidigte die Entscheidung, die man sich nicht leicht gemacht habe. „Den Vorwurf, dass nun ein Flickenteppich entstehe, kann ich nachvollziehen“, sagte die CDU-Politikerin der dpa. „Aber das Land ist nun mal von regionalen Besonderheiten und Erwartungen geprägt und die regionalen Inzidenzen gehen sehr weit auseinander. In einem Flächenland wie Baden-Württemberg wäre es deshalb ungerecht, wenn ein Einzelhändler auf der Ostalb, in Böblingen oder in Freudenstadt bei sehr niedriger Inzidenz nicht öffnen darf, weil der Wert zum Beispiel im Landkreis Schwäbisch Hall momentan noch weit über 100 liegt.“
Dagegen liegen 16 von 44 Stadt- und Landkreisen noch unter 50. Aber auch hier lohnt ein Vergleich: Vor zwei Wochen lagen noch 35 von 44 Kreisen unter der Inzidenz von 50 und vor einer Woche immerhin noch 25. Als Hintergrund dafür gilt die Ausbreitung der Virusmutationen, die noch ansteckender sind. Diese Varianten sollen schon mehr als die Hälfte aller Neuinfektionen ausmachen. Gesundheitsexperten warnen, mit dem Öffnungsbeschluss von Bund und Ländern könnte die dritte Corona-Welle anlaufen. Derzeit liegen im Südwesten noch 7 Kreise unter der Inzidenz von 35: Böblingen, Enzkreis (31,6), Ostalbkreis, Freudenstadt (31,3), Schwarzwald-Baar-Kreis, Heilbronn und Tübingen.
Der Beschluss von Bund und Ländern, den Baden-Württemberg nun umsetzen will, sieht vor, dass vom kommenden Montag an bei einer 7-Tage-Inzidenz von unter 50 der Einzelhandel wieder öffnen kann – allerdings mit einer Begrenzung von einer Kundin oder einem Kunden pro 10 Quadratmeter beziehungsweise 20 Quadratmeter je nach Verkaufsfläche. Möglich sind dann auch die Öffnung von Museen, Galerien, Gedenkstätten, zoologischen und botanischen Gärten sowie auch kontaktfreier Sport in kleinen Gruppen mit bis zu maximal zehn Personen im Außenbereich, auch auf Außensportanlagen. Konkret wäre dies beispielsweise in den Städten Baden-Baden (47,1) und Pforzheim (40,5) möglich.
Bei einer 7-Tage-Inzidenz von bis zu 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner gelten eingeschränkte Lockerungen für diese Bereiche. Shopping geht dann nur mit Termin (Click&Meet) und auch in anderen Einrichtungen muss man einen Termin buchen. Auch kontaktfreier Sport mit maximal 5 Personen aus zwei Haushalten und im Freien für Gruppen mit bis zu 20 Kindern bis 14 Jahren sind möglich. Das gilt zum Beispiel auch für Karlsruhe, wo die Inzidenz derzeit bei 56,1 liegt. Aber auch im Landkreis Karlsruhe (55,0), im Kreis Calw (50,9) oder im Kreis Rastatt (80,8).
In der Mitteilung der Landesregierung heißt es weiter: „Mit den benachbarten Gebieten mit höheren Inzidenzen sind gemeinsame Absprachen zu treffen, um eine überregionale oder kreisübergreifende Inanspruchnahme der geöffneten Angebote möglichst zu vermeiden.“ Wie das kontrolliert werden soll, ist allerdings noch nicht klar. Weitere Details wolle Kretschmann heute bei einer Sondersitzung des Landtags erläutern, hieß es.
Der Regierungschef hatte noch gewarnt, breite und schnelle Öffnungen könnten in eine unkontrollierbare dritte Welle und so in einen noch härteren Lockdown führen. „Das führt uns in ein Dilemma“, hatte Kretschmann erklärt. „Die Folgeschäden nehmen immer mehr zu. Einzelhandel, Veranstalter, Kultur und viele andere sind an ihrer Belastungsgrenze.“ Gleichzeitig wisse man: „Wenn wir jetzt zu unvorsichtig öffnen, gehen die Infektionszahlen durch die Decke.“
Zuvor hatten sich Kretschmann und Eisenmann schon darauf verständigt, bei den Schulen im Land einen nächsten Öffnungsschritt zu gehen und Fünft- und Sechstklässler nach dem wochenlangen Corona-Lockdown zurückkommen zu lassen. Zudem sollen die Grundschulen nach drei Wochen Wechselunterricht ebenfalls am 15. März wieder zum Regelbetrieb übergehen. Eisenmann hatte ursprünglich darauf gedrungen, schon am kommenden Montag die weiterführenden Schulen schrittweise wieder zu öffnen. Kretschmann hatte sich dagegen skeptisch gezeigt, ob es so schnell gelingen kann, die Öffnung der Schulen mit genügend Schnelltests bei Schülern abzusichern.