Neckarwestheim (dpa/svs) –Die EnBW will einen Schlussstrich unter die Atomzeitära ziehen. Da kam ihr die Politik mit der Laufzeitverlängerung für den Meiler in Neckarwestheim in die Quere. Nun führt kein Weg mehr am Ausstieg vorbei. Antworten auf wichtige Fragen zu dem historischen Ereignis.
Egal wie der politische Wind wehte, unbeirrt hat das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 Jahrzehnte lang eine hohe Säule Wasserdampfwolken aus dem Kühlturm steigen lassen. Nach dem kommenden Wochenende ist nun Schluss damit. Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie wird nach einer kurzen Laufzeitverlängerung besiegelt – und auch der letzte Meiler im Südwesten geht vom Netz.
Das wird laut dem Chef der EnBW-Kernkraftsparte, Jörg Michels, relativ kurzfristig entschieden – abhängig von den dann aktuellen Marktgegebenheiten. Daher wisse man auch noch nicht, welche Schicht die Abschaltung durchführt. In dem Kraftwerk arbeiten den Angaben nach jeweils 12 bis 15 Mitarbeiter in drei Schichten.
Letztlich wie bei jeder Revision, also den regelmäßigen Kontrollen – nur dass das Atomkraftwerk (AKW) danach nicht mehr hochgefahren wird. Zuerst wird die Reaktorleistung kontinuierlich abgesenkt, indem sogenannte Steuerstäbe in den Reaktorkern eingeführt werden. Diese bremsen gewissermaßen die Kettenreaktion im Reaktor. Anschließend wird der Generator vom öffentlichen Stromnetz getrennt.
Wegen der Laufzeitverlängerung musste umgeplant werden, neue Verträge mit Drittfirmen wurden nötig. Michels sprach davon, dass sich alles «mindestens drei Monate» verschiebe. Wenn mit den Abbautätigkeiten schließlich begonnen werden kann, werden zuerst die 193 Brennelemente aus dem Reaktordruckbehälter entfernt und in das benachbarte Lagerbecken überführt. Mit der Zeit werden dann zum Beispiel die nuklearen Systeme dekontaminiert, Hauptkühlmittelleitungen demontiert und die Einbauten des Reaktordruckbehälters zerlegt.
Die EnBW hat Reststoffbearbeitungszentren in Philippsburg (Landkreis Karlsruhe) und Neckarwestheim gebaut. So würden Abbau und Entsorgung voneinander entkoppelt, was die Vorgänge beschleunige, sagte Michels.
Das Gros des radioaktiven Mülls wird nach seinen Angaben an Ort und Stelle dekontaminiert. Am Ende bleibt demnach nur ein kleiner Anteil an radioaktiv belastetem Material übrig.
Alles in allem rechnet der Konzern nach den Erfahrungen mit seinen anderen vier schon abgeschalteten Meilern damit, dass der nukleare Rückbau in 10 bis 15 Jahren abgeschlossen sei. Dann stehen noch Gebäude auf dem Gelände, die eventuell abgerissen werden müssen. Was auf dem Areal später passieren soll, ist laut Michels noch unklar.
Für alle fünf Blöcke kalkuliert die EnBW mit neun Milliarden Euro. Das Geld hat das Karlsruher Unternehmen dafür zurückgelegt.
Die Geschäftsführung der Kernkraftsparte will «aus Respekt vor der Leistung der Kolleginnen und Kollegen» vor Ort sein, sagte Michels. Sie halte sich aber im Hintergrund. Es werde keinen Sekt oder irgendeine Art von Feierlichkeit geben, sagte Michels.
Anders sieht es bei den Atomkraftgegnern aus: Nach Jahrzehnten des Protests ist der 15. April für sie ein Tag zum Feiern. Daher lädt der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar ab 13.00 Uhr zum «Abschaltfest» vor dem AKW im Landkreis Heilbronn.
Fünf bis zehn Millionen Euro Gewerbesteuer sprudelten nach Angaben von Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos) jedes Jahr in die Kasse – vorwiegend durch das AKW. Mit dem Geld leistete sich die Kommune Dinge, die deutlich über dem Niveau einer Gemeinde mit rund 4200 Einwohnerinnen und Einwohnern liegen: Kindergärten wurden toll ausgestattet, ein Jugendhaus gebaut, die Reblandhalle als Veranstaltungslocation und großes Kulturzentrum eingerichtet. Es gibt Zuschüsse für Schwimmbadtickets und 120 Hotelbetten, in denen immer wieder auch Menschen übernachteten, die im AKW zu tun hatten. Die Gemeinde kaufte sogar Schloss Liebenstein. Hinzu kam ein Golfplatz.
Nun geht es ums Sparen. Da die Folgen des Atomausstiegs ja seit Jahren bekannt sind, wird der Haushalt Schritt für Schritt auf die Zeit nach dem AKW vorbereitet. Ein Zuschuss für Abwassergebühren etwa wurde schon gestrichen. «Wir haben die Luft rausgelassen», formulierte Winkler das einmal. «Wir leben von der Substanz.»
Als der Atomausstieg in Deutschland nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 beschlossen wurde, hat die EnBW ihr Geschäftsmodell umgekrempelt: Seither baut der drittgrößte deutsche Energieversorger die Stromerzeugung über erneuerbare Energien aus. Seit vergangenem November ist Andreas Schell Vorstandsvorsitzender in der Durlacher Allee – und folgt ohne Wenn und Aber ebenjenem Kurs, den sein Vorgänger Frank Mastiaux eingeschlagen hatte.
Eine spontane erneute Laufzeitverlängerung oder gar ein Wiedereinstieg in die Atomenergie sind daher bei der EnBW absolut kein Thema. «EnBW diskutiert nicht über Atomausstieg, sondern hält am Masterplan für den Rückbau fest», betonte Michels.
Neckarwestheim 2 ist 1989 ans Netz gegangen und das jüngste deutsche Atomkraftwerk. Bis zur Abschaltung wird es den Angaben nach in diesem Jahr voraussichtlich mehr als 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt haben. Insgesamt werden es Michels zufolge dann rund 375 Milliarden Kilowattstunden sein. Mit einer jährlichen Stromproduktion von durchschnittlich rund 11 Milliarden Kilowattstunden sei etwa ein Sechstel des Strombedarfs in Baden-Württemberg gedeckt worden.