Stuttgart (dpa/lk) – Seit Anfang der Woche gelten in Baden-Württemberg verschärfte Corona-Regeln. Die Maskenpflicht wurde ausgeweitet, private Feiern weiter eingeschränkt. So will die Landesregierung die exponentiell steigenden Infektionszahlen in den Griff bekommen. Bei der Regierungspressekonferenz haben am Dienstag Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Gesundheitsminister Manne Lucha und Staatssekretärin Petra Olschowski über die getroffenen Maßnahmen informiert.
Nach Aussage von Ministerpräsident Kretschmann war das Ausrufen der dritten Pandemiestufe notwendig, weil die Neuinfektionen exponentiell angestiegen und die Infektionsketten nicht mehr vollständig nachvollzogen werden könnten. Aktuell liegt die 7-Tage-Inzidenz in Baden-Württemberg bei 47,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. 17 Stadt- und Landkreise liegen bereits über dem kritischen Wert von 50, weitere elf liegen über 35. Sollten die Corona-Zahlen weiter steigen, gibt es laut Landesregierung keinen weiteren Plan zur Eindämmung – außer einen zweiten Shutdown. Man habe schon noch ein paar Dinge im Köcher, aber so viele nicht mehr, sagte Kretschmann.
In Fußgängerbereichen und in öffentlichen Einrichtungen gilt daher jetzt eine erweiterte Maskenpflicht. Ansammlungen und private Veranstaltungen mit mehr als 10 Personen oder zwei Hausständen sind untersagt. Gesundheitsminister Manne Lucha appellierte bei der Regierungspressekonferenz am Dienstag an die Vernunft der Bürger: „Wir gewinnen das Spiel und verflachen die Kurve durch die Gesamtreduktion unserer sozialen Kontakte.“ Die Eigenverantwortung müsse umgesetzt werden. Ungesteuerte Trinkgelage, die dritte Halbzeit nach dem Sport seien nicht mehr möglich. Dagegen organisierte Veranstaltungen und Angebote in Sport, Kunst und Kultur seien keine Infektionstreiber und müssten daher aufrecht erhalten werden. In vierzehn Tagen werde man sich die Kurve anschauen und weiter entscheiden. Man tue alles, um das Gesundheitswesen zu stärken, so Lucha. Im Land gebe es bereits 1.017 Corona-Schwerpunktpraxen, 34 Abstrichstellen und 14 Fieberambulanzen. Derzeit würden 94 akute Covid-19-Fälle in den Krankenhäuser behandelt, 50 Patienten würden intensiv beatmet. Das Land verfüge über 981 freie Intensivbetten und eine Notfallreserve von rund 1.670 Betten.
Die Bundeswehr hilft bereits in immer mehr Regionen im Kampf gegen die Corona-Pandemie aus. Die Bundeswehr habe bereits 14 Anträge auf Amtshilfe von Stadt- und Landkreisen aus dem Südwesten bewilligt, teilte Ministerpräsident Winfried Kretschmann weiter mit. Aktuell seien 101 Kräfte in sieben Gesundheitsämtern vor Ort im Einsatz. In weiteren sieben Kreisen laufe die Planung für den Einsatz von 66 Kräften. Sieben weitere Anträge auf Amtshilfe für weitere 59 Kräfte seien noch nicht bewilligt. Die Soldaten und Reservisten unterstützen die Ämter vor allem bei der telefonischen Kontaktnachverfolgung.
Kunststaatssekretärin Petra Olschowski hält die bestehende Teilnehmergrenze von 500 Besuchern in Kultureinrichtungen trotz steigender Infektionszahlen für berechtigt. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen spreche das Publikum etwa im Theater nicht. Aufgrund der geltenden Abstandsregeln gebe es aber ohnehin „kein Haus, das eine 500er-Besetzung tatsächlich realisieren kann“, sagte Olschowski am Dienstag in Stuttgart. Die Kultureinrichtungen sind vorerst nicht von den neuen Einschränkungen der Landesregierung in Baden-Württemberg wegen steigender Infektionszahlen betroffen. Oft sind Theater laut der Staatssekretärin nur zu einem Viertel oder einem Drittel besetzt. Durch die mittlerweile bestehende Maskenpflicht in vielen Theatern reagiere man angemessen auf eine steigende Zahl an Corona-Infektionen. „Das zeigt, dass die Kultureinrichtungen verantwortungsvoll mit den Hygienemaßnahmen umgehen“, sagte Olschowski.
Ministerpräsident Kretschmann hat auch die Beschränkung der Teilnehmerzahl für Trauergottesdienste und Bestattungen im Freien verteidigt. „Eine Trauerfeier mit 100 Personen ist jetzt nicht gerade an der Grenze der Pietät“, sagte er in der Regierungspressekonferenz. „Es muss ja niemand Angst haben, dass wir auf Friedhöfe gehen und sagen: Du darfst da nicht stehen.“ Die Landeskirchen und Diözesen seien gut organisiert. „Da haben wir uns über nichts zu beschweren.“ Die Probleme lägen bei muslimischen und freikirchlichen Trauerfeiern, wo sich Hunderte Personen treffen würden. „Das sind die Problemzonen“, sagte Kretschmann. „Da wir das immer für alle gleich machen müssen, sind wir aufgrund solcher Vorkommnisse leider dazu gezwungen.“ Ausnahmegenehmigungen seien zudem möglich, sofern ein Konzept vorliege. Für religiöse Veranstaltungen im Freien gilt grundsätzlich die Grenze von 500 Personen. An Trauerfeiern und Bestattungen im Freien dürfen wegen der sich ausweitenden Corona-Pandemie in Baden-Württemberg nur noch 100 Personen teilnehmen.
Kretschmann hat sich auch für den Föderalismus im Kampf gegen die Corona-Pandemie stark gemacht. „Ich wüsste nicht, wo der Föderalismus an seine Grenzen gestoßen ist. Im Gegenteil: Dadurch sind wir so schnell“, sagte der Grünen-Politiker. Die Konferenz der Ministerpräsidenten habe vergangenen Mittwoch Beschlüsse gefasst, die man sofort eingeleitet habe. „Schneller geht’s eigentlich gar nicht“, sagte Kretschmann. Wenn der Bund das gemacht hätte, hätte es mindestens einen Tag länger gedauert. Deutschland sei mit der föderalen Struktur gut durch die Krise gekommen. Bayerns Ministerpräsident Söder hatte am Montag vor einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands in Nürnberg gesagt: „Ich bin ein überzeugter Föderalist, aber ich glaube, dass der Föderalismus zunehmend an seine Grenze stößt.“