Region (dpa/jal) – Das Land will nicht, dass Schuldner nur wegen unbezahlter Geldstrafen ins Gefängnis müssen. Ein Projekt dazu ist bereits seit Jahren etabliert, ein weiteres vergleichsweise neu. Gemeinsam lassen sich mit ihnen umgerechnet Hunderte von Jahren hinter Gittern vermeiden.
Wer eine Geldstrafe in Baden-Württemberg nicht begleichen kann, der kann sich statt der drohenden Ersatzhaft auch beraten lassen und den Betrag Stück für Stück abstottern – oder die Summe abarbeiten. Mit zwei Programmen gegen sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen sind nach Angaben des baden-württembergischen Justizministeriums im Jahr 2021 rund 170.000 Hafttage für säumige Schuldner vermieden worden – das entspricht umgerechnet der Dauer von insgesamt 465 Jahren. Allein durch das Projekt «Schwitzen statt Sitzen» wurden 160.342 Hafttage gespart, rund 48.000 mehr als im Jahr zuvor. Durch den direkten Kontakt von Gerichtshelfern mit den Schuldnern seien weitere mindestens rund 10.000 Tage nicht abgesessen worden, sagte Justizministerin Marion Gentges (CDU) der dpa.
Sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen werden von der Staatsanwaltschaft angeordnet, wenn eine Geldstrafe nicht bezahlt wird und auch nicht eingetrieben werden kann. Ein Tagessatz Geldstrafe entspricht dabei einem Tag Freiheitsstrafe. Droht Menschen wegen nicht gezahlter Geldstrafen die Haft, bietet das Land seit November 2020 allerdings mehr Hilfe an. Beim Projekt mit dem sperrigen Namen «Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch aufsuchende Sozialarbeit» nehmen Gerichtshelfer bei Hausbesuchen Kontakt zum oft überforderten Schuldner auf, um über mögliche Ratenzahlungen und gemeinnützige Arbeit zu informieren. Sie schließen schriftliche Tilgungsvereinbarungen mit den Klienten ab und erinnern sie an den jeweiligen Zahlungstermin.
Es sei auf diese Weise möglich, mit dem Verurteilten zusammen individuelle Lösungen zu erarbeiten, sagte Gentges. «Damit gelingt es, auch sozial Abgehängte zu erreichen, die vor allem an der eigenen Alltagsorganisation, vielleicht schon am Öffnen der Post, scheitern.» Zum einen bleibe dem Betroffenen die Haft erspart. Zum anderen würden die ohnehin vollen Gefängnisse und die Staatskasse entlastet, die rund 135 Euro pro Kopf und Tag zahlen muss. Denn Ersatzfreiheitsstrafen belasten das System enorm. Im vergangenen Jahr (2022) saßen durchschnittlich 430 Häftlinge eine solche Strafe ab, in den beiden Pandemiejahren waren es 266 (2020) und danach 375 Inhaftierte – deutlich weniger, weil auf den Vollzug sehr oft wegen der Pandemielage vorerst verzichtet worden war.
Die weitaus meisten Hafttage erspart sich das Land aber durch das bereits etablierte Projekt «Schwitzen statt Sitzen». Dabei können Schuldner am Staat den Gang ins Gefängnis abwenden, wenn sie gemeinnützige Arbeit leisten. Die Zahl der abzuleistenden Stunden ergibt sich aus der Zahl der Hafttage, die zu verbüßen wären. Nach vier Stunden Arbeit wird ein Hafttag gestrichen. Das Projekt gibt es seit 1987 in Baden-Württemberg.
Die Bilanz könnte sich aber im kommenden Jahr deutlich ändern. Denn wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann oder will, soll dafür künftig nicht mehr so lange ins Gefängnis müssen. Nach den Planungen der Bundesregierung soll ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr einem, sondern zwei sogenannten Tagessätzen entsprechen. Die Zeit hinter Gittern würde dadurch also halbiert. Die Höhe des Tagessatzes orientiert sich grundsätzlich am Einkommen des Beschuldigten. Der Bundestag muss dem Entwurf noch zustimmen. Justizministerin Gentges hält das für keine besonders gute Idee. «Es braucht die Ersatzfreiheitsstrafe als letzte Konsequenz, damit Geldstrafen als Sanktion ernstgenommen und bezahlt werden.»