Karlsruhe (msch) – Menschen, aus allen denkbaren Bereichen der Veranstaltungsbranche dürfen ihren Job aufgrund von Corona momentan nicht oder nur teilweise ausüben. Die Initiative Kulturgesichter0721 gibt Betroffenen aus Karlsruhe ein Gesicht: durch Fotos dieser Menschen, die auf Instagram und Facebook gepostet, gelikt und geteilt werden können, sollen deren Anliegen Gehör finden. Die Initiative gibt es in vielen weiteren größeren Städten Deutschlands. Wir haben mit Niklas Braun und Sascha Kart, den beiden Initiatoren von Kulturgesichter0721, gesprochen.
dnw: Was ist denn eigentlich euer Ziel mit Kulturgesichter?
Braun: Wir möchten mit der Aktion darstellen, was für Menschen hinter der Kultur und den Kulturveranstaltungen stecken. Wer macht hell? Wer macht laut? Wer macht die Veranstaltung sauber und sicher? Es ist uns wichtig, Gesicht zu zeigen, damit die Leute sehen, wer alles daran beteiligt ist. Angefangen von Menschen die kleinen Klubs wie dem Kohi in Karlsruhe arbeiten, bis zu „das Fest“, unserem größten Open Air Event in Karlsruhe . Da sind wahnsinnig viele Menschen am Start und arbeiten, damit alles gut läuft. Und einige Arbeiten nicht nur für Geld, sondern weil sie einfach Bock drauf haben!
Kart: Es geht nicht nur um die Existenzen, die durch den Corona-Lockdown in Gefahr sind. Es geht auch um die, die all das mit ganz viel Leidenschaft machen. Das kann auch der Hobbymusiker sein. Wir möchten die abstrakten Begriffe „Kultur“ und „Veranstaltungsbranche“ spürbar machen, indem wir die Gesichter dahinter zeigen.
dnw: Aber ihr habt noch keine konkreten Forderungen?
Braun: Genau! Allerdings haben wir uns schon das Ziel gesetzt, in einem weiteren Schritt nach draußen zu gehen und beispielsweise über die Medien auf uns aufmerksam zu machen. Außerdem möchten wir natürlich mit kommunalen und regionalen Politikern ins Gespräch kommen. Über die Vernetzung mit den anderen Kulturgesichter-Aktionen möchten wir aber auch auf Bundesebene auf uns aufmerksam machen.
dnw: Es ist euer Konzept, Kulturschaffende aus den verschiedensten Branchen zu fotografieren und ihnen über eure Kanäle ein Gesicht zu geben. Wie kommt der Kontakt zu diesen Menschen zu Stande?
Kart: Das hat das über unsere privaten Netzwerke und Freundeskreise angefangen. Jetzt kommen die Leute aber proaktiv auf uns zu. Die Aktion spricht sich in der Branche herum und wird sehr dankbar angenommen. Die Leute rennen uns quasi die Bude ein.
dnw: Also eine große Resonanz innerhalb der Szene. Aber wie sehen die Reaktionen außerhalb der Branche aus?
Braun: Da haben wir auch tolle Resonanzen. Viele Leute kommen auf uns zu und erzählen, dass sie viele Menschen auf den Bildern wiedererkannt haben. Die sind dann überrascht und sagen, dass sie gar nicht gewusst haben, was für interessante Leute sich in ihrem Bekanntenkreis tummeln und was die alles so leisten. Ich denke, wir haben da wirklich etwas erreicht und zwar nicht nur für Karlsruhe, sondern bundesweit. Wir haben das auf visuelle Art und Weise dargestellt, dass unsere Tätigkeit ein bisschen mehr wert ist, als das oft in der Politik gehandelt wird.
dnw: Wurde Kultur und all die Menschen, die dahinterstecken und das erst möglich machen, denn bisher zu wenig wertgeschätzt?
Kart: Ich glaube einfach, dass es oft nicht wahrgenommen wurde. Das Wort Wertschätzung unterstellt immer so eine negative Haltung, das möchten wir damit nicht ausdrücken. Es hat sich einfach niemand groß Gedanken darüber gemacht, wie viele Menschen bei so einem Theaterstück oder einem Konzert zu Gange sind.
Braun: Um es mal sehr deutlich zu machen: Ganz oft fällt die Frage an einen Jazzmusiker oder einen Veranstaltungstechniker: „Und was arbeitest du sonst noch? Wie verdienst du sonst dein Geld?“ Das stört uns. Diese Vorstellung von Vielen, dass damit niemand seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist für uns völlig abstrus. Natürlich verdienen wir damit unser Geld! Wir können davon gut leben, wenn alles geregelt ist und alles funktioniert. In der Branche sind viele Menschen extrem gut ausgebildet. Nehmen wir zum Beispiel die Veranstaltungstechnik. Da geht es nicht einfach nur darum, stupide an einem Regler zu drehen, sondern es geht um komplexe Dinge wie Sicherheitstechnik oder Brandschutzbestimmung. Das verstehen viele Menschen nicht.
dnw: Das hört sich vor allem nach strukturellen Problemen an. Könnte die Corona-Krise nicht auch eine gewisse Chance in sich tragen? Selten wurde so viel über Kultur, deren Wert und die Menschen, die das Möglich machen, diskutiert.
Kart: Ich glaube, eine Chance ist nicht wirklich absehbar. Die zeichnet sich ab, wenn das, was wir nach außen tragen, gehört wird. Vor allem von denjenigen, die Entscheidungen über Unterstützung und finanzielle Maßnahmen treffen können. Eine Chance zeichnet sich auch ab, wenn das anerkannt wird, was geleistet wird. Nehmen wir zum Beispiel die Hygienekonzepte. Da haben Menschen ganz viel Zeit und Energie hereingesteckt und Konzepte entwickelt, die funktionieren. Der aktuelle Lockdown ist für ganz viele Kulturschaffende wie ein Schlag ins Gesicht. Es hat in diesen Bereichen kaum Infektionen gegeben, das ist nachweislich.
dnw: Es gab verschiedene Töpfe, aus denen Kulturinstitutionen schöpfen konnten auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Das ist doch auch eine gewisse Wertschätzung. Wie nehmt ihr die Hilfsangebote wahr, die geleistet wurden?
Kart: Eines der ganz großen Probleme war, dass die Hilfsmaßnahmen immer darauf abgezielt haben, Betriebsausgaben zu decken. Die Tätigkeitsstrukturen in der Kulturbranche unterscheiden sich aber von anderen Branchen. Die allermeisten sind Freiberufler, die haben keine Betriebsausgaben. Die sind durch ein Raster gefallen. Für ganz viele hieß das: „Hartz 4“ oder Regale einräume im Supermarkt. Deswegen waren die Hilfen sicher gut gemeint, aber konnten vielen Menschen im Kulturbereich nicht wirklich helfen. Ihr Hilferuf ist bislang nicht gehört worden.
dnw: Kulturgesichter0721 – das hat aufgrund des Namens einen relativ lokalen Bezug. Richtet sich die Initiative vor allem an die Entscheidungsträger vor Ort?
Kart: Das ist sicherlich auch der Netzwerksache geschuldet, dass es sich regional darstellt. Der Aufwand wäre anders auch gar nicht zu bewältigen. Wenn wir ein Shooting machen, kommen in drei bis vier Stunden zwischen dreißig bis vierzig Menschen, die wir dann im 5-Minuten-Takt fotografieren. Der Aufwand ist enorm. Niklas (Anm. d. Red.: gemeint ist Niklas Braun) und ich haben richtig, richtig viel zu tun mit der Aktion und sind deswegen froh, dass es sich regional entwickelt hat. Wir möchten zunächst einmal die regionalen Gesichter zeigen, aber auch an die kommunale Politik herantreten und auf das Thema aufmerksam machen. Und vielleicht mit den entsprechenden Bundestagsabgeordneten hier aus der Region ins Gespräch kommen. Die wurden ja auch für die Menschen hier vor Ort gewählt.
Braun: Ich gehe noch einen kleinen Schritt weiter. Es gibt nämlich auch ganz viele große Firmen, die sich in den letzten Jahren ziemlich zurückgezogen haben. Es wird nur noch Sponsoring auf Events betrieben, die von extrem vielen Menschen besucht werden. Der Mut, auch mal kleinere Sachen zu unterstützen, ist bei vielen großen Firmen massiv verloren gegangen. Da schwingt oft die Angst mit, es könne bei Kunden nicht so dufte ankommen. Außerdem muss es ja nicht immer Geld geben. Eine IT-Firma könnte zum Beispiel eine kostenlose Software für einen kleinen Kulturbetrieb schreiben. Ich kann nur an die Firmen appellieren, Mut zu zeigen und offen für solche Dinge zu sein. Alles hilft! Das wollte ich einfach mal loswerden.
dnw: Lasst uns doch einfach mal „wünsch dir was“ spielen…
Kart (lacht): Wünsch dir was, würde bei mir heißen: mehr Subventionen in Kulturstätten, um den Kulturbetriebe aufrecht zu erhalten. Und gezielte Subventionen an die Freelancer und Kulturschaffenden, damit sie ihre Existenzen sichern können. Das wäre mein Wunsch!
Braun: Mir wäre auch eine bessere und engere Kommunikation zwischen Kulturbetrieben und Firmen wichtig. Ich glaube, das hätte eine enorme Kraft!