Karlsruhe (lk) – Durch die sinkenden Inzidenzen und den damit einhergehenden Lockerungen könnten ab Samstag im Stadt- und Landkreis Karlsruhe wieder Kulturveranstaltungen im Freien mit bis zu 100 Personen erlaubt sein. Doch bis mal wieder Konzerte stattfinden, wie wir sie kennen, dauert es noch eine ganze Weile. Vivien Avena und Fabienne Stocker vom Substage Karlsruhe haben uns ihre aktuelle Lage geschildert.
Inzwischen ist es 15 Monate her, dass wir das letzte mal feiern und tanzen konnten, wie wir das bislang gewohnt waren. Corona hat nicht nur unseren Alltag auf den Kopf gestellt, sondern auch das gesamte soziale Leben. Kulturveranstaltungen und Konzerte liegen seit Monaten brach. Nach einer kurzen Open-Air-Saison mit vielen Einschränkungen im vergangenen Sommer, befindet sich die Szene seit Oktober wieder auf einer langen Durststrecke. Das Substage in Karlsruhe ist bekannt für grandiose Konzerte international bekannter Künstler. Die vergangenen Monate konnte sich der Live-Musikclub hauptsächlich durch finanzielle Zuschüsse, Spenden und Überbrückungshilfen über Wasser halten. Strom- und Heizkosten fielen ja keine an. Die Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, Entlassungen musste es glücklicherweise keine geben. Trotz allem ist die Lage prekär: ohne Einnahmen kann sich das Veranstaltungshaus vielleicht noch ein paar Monate bis in den Herbst hinein retten. Danach sieht es düster aus.
Doch Vivien Avena kann der Situation auch etwas Gutes abgewinnen: „Für die komplette Live-Musikbranche war das eine neue Situation und wir haben und viel stärker und enger vernetzt. Natürlich fehlt die Kultur und die Situation ist für uns bedrohlich. Für alle Menschen ist es Mist, dass es kein Ventil für Freizeit gegeben hat und keine Kultur stattfinden konnte. Aber letztlich ist es eben eine besondere Pandemie-Situation. Und wir konnten das immer verstehen, dass gerade nicht die Zeit ist, tanzende, schwitzende Menschen in einem Raum zusammen kommen zu lassen. Mir persönlich wurde manchmal sogar zu früh nach Öffnungen geschrien.“ Natürlich seien Kultur und Wirtschaft wichtige Faktoren in einer Gesellschaft. Aber möglicherweise müsse sich die Kultur an die neuen Gegebenheiten anpassen. Außerdem könne sich jetzt vielleicht das Gefälle von Hochkultur und kleinen Musikclubs ein bisschen mehr auf Augenhöhe annähern.
Sollten die Inzidenzen in und um Karlsruhe weiter auf niedrigem Niveau bleiben, könnten bereits ab Samstag in einem ersten Öffnungsschritt Lockerungen für Handel, Gastronomie und Kultur kommen. Veranstaltungen in Innenräumen wären jedoch frühestens vier Wochen später möglich – sollten die Zahlen nicht wieder in die Höhe schnellen. Dann wären Veranstaltungen bis 100 Personen mit Hygienekonzept und AHA-Regeln im Substage wieder möglich. Zutritt werde es natürlich nur für Genesene, vollständig Geimpfte oder negativ getestete Personen mit entsprechendem Nachweis geben. Eine Schnellteststation befindet sich beispielsweise direkt vor der Haustür auf dem Karlsruher Messplatz. Außerdem wird es im Substage Kontaktnachverfolgung mit Apps oder auch handschriftlich geben werden. „Wir als Veranstalter sind flexibel. Es wird uns immer wieder gelingen, eine Lösung zu finden“, ist sich Vivien Avena sicher.
Die zweite Vorstandsvorsitzende des Substage, Fabienne Stocker, sieht aber neue Herausforderungen und einen höheren Aufwand durch die neuen Regelungen: „Das Bestuhlungskonzept mit dem Abständen haben wir noch aus dem letzten Jahr. Komplizierte könnte es mit den vollständig Geimpften werden. Solange es keine App für den Nachweis gibt, können wir das im Karten-Vorverkauf nicht kontrollieren. Dadurch entsteht ein höherer Aufwand, als im vergangenen Jahr. Bekommen wir die Nachweise manuell oder digital, was gilt bei welchem Impfstoff…“ Hauptproblem seien aber die verschobenen Shows internationaler Künstler. Kurzfristig für dieses Jahr könnten vermutlich nur lokale und mit viel Glück nationale Künstler gebucht werden. Für Großveranstaltungen über 1.000 Leute sieht Stocker die Situation sogar noch für das kommende Jahr kritisch: „Ob jemals wieder alles normal abläuft, hängt davon ab, ob sich das Virus so abschwächt, dass es keine letale Bedrohung mehr für den Menschen ist. Oder die Impfstoffe entsprechend angepasst werden.“
Auch der Zuspruch des Publikums ist für die beiden Bookerinnen des Substage aktuell noch eine Unbekannte: „Vermutlich wird es ein zweischneidiges Schwert. Eine Gruppe, die total nach Feiern und Tanzen dürstet. Andererseits aber auch die Tendenz der Vorsicht. Menschen, die sich erstmal nur in kleineren Gruppen treffen. Ich sehe nicht, dass alle Veranstaltungen als Selbstläufer ausverkauft sein werden“, sagt Avena. Außerdem werde es nach Corona ein absolutes Überangebot an Veranstaltungen geben. „Da wird man in der Woche gar nicht mehr wissen, wo man sein Geld hintragen soll, weil es so viel an Angebot geben wird.“ Auch bei den Künstlern gehe die Schere weit auseinander. Da müsse zwischen den Großverdienern der Branche und solo-selbstständigen Künstlern unterschieden werden. „Gerade für den Nachwuchs ist es schwierig. Aber inzwischen gibt es ja Plattformen wie TikTok. Dadurch hat es die Live-Auftritte vielleicht gar nicht so sehr gebraucht“, sagt Avena. Sie kenne Künstler, die ihre Tätigkeit erstmal ruhen gelassen haben und stattdessen in einem Impfzentrum ausgeholfen oder sich einen anderen Job gesucht hätten.