Stuttgart (ms/dpa) Ist der Gasgipfel mit Energie-Spartipps schon wieder Makulatur? Putin dreht via Gazprom am Gashahn und setzt Deutschland und damit auch den Südwesten unter Druck. Doch Kretschmann sieht trotzdem noch keinen Grund für krassere Ansagen.
Die Versorgungslage in Baden-Württemberg wird durch die jetzige Drosselung des Gasflusses durch die Pipeline Nord Stream 1 im Herbst und Winter voraussichtlich deutlich schwieriger. «Die Lage ist jetzt wieder prekärer», sagte Regierungschef Winfried Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Der «Schuss Zuversicht», den man beim Gasgipfel am Montag noch ausgestrahlt habe, sei verfrüht gewesen. «Da hat uns Putin ein Stück am Seil runtergelassen», räumte der Grünen-Politiker ein. «Umso notwendiger ist das Sparen.» Das mildere in jedem Fall die Krise im Herbst und Winter ein stückweit ab. Für weitergehende Ansagen oder Verpflichtungen zum Energiesparen sei die Bundesregierung zuständig.
Nach dem Gipfel mit Wirtschaft, Kommunen und Versorgern in Stuttgart hatte sich Kretschmann noch optimistisch gezeigt, dass mit einer Ersparnis von 20 Prozent Gas die Füllmenge in den Gasspeichern ausreichen werde, um den Winter zu überstehen. Voraussetzung für dieses positive Szenario war aber, dass durch Nord Stream 1 weiter 40 Prozent der Lieferkapazität fließt. Doch wenige Stunden nach dem Krisentreffen in Stuttgart kündigte der russische Konzern Gazprom an, dass von diesem Mittwoch an nur noch 20 Prozent Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen werde.
Kretschmann warb erneut für die Energiespar-Kampagne des Landes unter dem Motto «Cleverländ». Sowohl Unternehmen als auch Verbraucherinnen und Verbraucher täten gut daran, Gas einzusparen. Es sei absehbar, dass die Preise weiter steigen. Betriebe würden wettbewerbsfähiger, wenn sie nicht so viel Energie verbrauchten. «Als Privatmensch kannst du Verteuerungen besser vertragen, wenn du sparst», sagte der Regierungschef. Zu Kritik der Opposition, der Gasgipfel sei jetzt schon Makulatur, sagte Kretschmann, das Wichtigste am Gasgipfel sei für ihn gewesen, «dass alle bereit waren, an einem Strang zu ziehen».
Der Grüne zeigte sich erneut offen dafür, die drei verbliebenen Atomkraftwerke etwas länger laufen zu lassen als nur bis zum Jahresende. Doch darüber müsse Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach dem Stresstest für Netzstabilität in Deutschland entscheiden. Habeck gehe da wie er selbst ganz pragmatisch ran. «Ich habe nicht den Eindruck, dass er mit ideologischen Scheuklappen durch die Gegend rennt.» Kretschmann betonte aber, dass die Laufzeit von Neckarwestheim II nur noch um wenige Wochen verlängert werden könne. Der Meiler sei derzeit noch im Volllastbetrieb und werde erst im Oktober in den Streckbetrieb gehen. Das heißt, ab dem Zeitpunkt wird die Leistung gesenkt. Ende Dezember blieben noch etwa 30 Prozent der Leistung übrig.
Hintergrund für den Streckbetrieb sind die abgebrannten Brennstäbe, die wegen der absehbaren Stilllegung nicht mehr erneuert wurden. Es gibt den Vorschlag, schon früher in den Streckbetrieb zu gehen, um die AKW auf niedrigerem Niveau über den ganzen Winter noch betreiben zu können. Kretschmann sagte zu dieser Option: «Das würde mich überhaupt nicht schmerzen.» Ihn schmerze die Krise und nicht die Maßnahmen dagegen.
Am Vorabend hatte sich Kretschmann im ZDF-«heute-journal» schon wortreich dagegen gewehrt, die Grünen würden längere AKW-Laufzeiten auf jeden Fall verhindern wollen. Auf eine entsprechende Frage sagte er ungefähr 20 Mal «Nein». Niemand – außer der AfD – wollen zurück zur Atomkraft in Deutschland, es gehe nur um die Frage, ob man die drei Meiler für den Übergang noch brauche. «Das werden wir sehr nüchtern und rational prüfen und entscheiden», sagte Kretschmann und fügte hinzu: «Aber Atomkraft ist jetzt keine Stereoanlage, die man mal an- und ausschalten kann.»
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nimmt dem Grünen die Offenheit für längere AKW-Laufzeiten nicht ab. «Schon seit Monaten geistert Grün-Schwarz ohne tragfähiges Konzept durch die Gas-Krise. Schon seit Monaten werden allerorts vorgebrachte Vorschläge, die Kernenergie weiter zu nutzen und auch die heimische Erdgasförderung in den Blick zu nehmen, aus ideologischer Sturheit verworfen.»
Kretschmann bedauerte, dass man beim Ausbau der erneuerbaren Energien noch längst nicht da sei, wo man hinwolle. EnBW-Chef Frank Mastiaux hatte nach dem Gasgipfel gesagt, man müsse nun «Siebenmeilenstiefel» anziehen. Der Regierungschef haderte erneut damit, dass der Bund vor Jahren die Ausschreibungsbedingungen für die Windkraft verändert habe. «Das ärgert mich und schmerzt mich wirklich, dass wir da nicht erfolgreicher waren der Bundesregierung gegenüber.» Das habe einen totalen Einbruch bei der Windkraft im Südwesten ausgelöst. «Das ist schon ein schweres Versagen gewesen. Da konnten wir uns nicht gut genug durchsetzen.»