Karlsruhe/Stuttgart (dpa/lk) – Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält angesichts der weiter hohen Corona-Infektionszahlen eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen im Februar für möglich. Die Zahlen seien nicht so, dass man „ein großes Öffnungskonzert“ veranstalten könne, sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. „Wenn es nicht gut kommt, müssen wir eventuell sogar noch mal verschärfen.“ Seit Montag gilt bereits ein verschärfter Lockdown bis Ende Januar. Eine Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken im Nahverkehr und beim Einkaufen wie in Bayern steht im Südwesten aber nicht zur Debatte.
Kretschmann erklärte, die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen seien sehr wirksam. „Die nächtlichen Ausgangssperren werden mal sicher nicht gelockert, vorher lockern wir was anderes.“ Seit Wochen gelten im Südwesten Ausgangsbeschränkungen zwischen 20.00 Uhr und 05.00 Uhr. Der Landeschef wandte sich damit auch gegen die Forderung des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer, von Februar an die Corona-Maßnahmen auf breiter Front zu lockern. Er sei ein „strikter Gegner“ davon, unabhängig von den Infektionszahlen zu handeln. „Sowas wird ja kein verantwortlicher Politiker machen“, sagte der Regierungschef. „Die rote Linie ist immer die Belastbarkeit des Gesundheitswesens.“
Ob man Grundschulen und Kitas wie angedacht am kommenden Montag öffnen könne, sei noch nicht klar. Die Zahlen gingen nicht herunter – „jedenfalls nicht belastbar“, meinte Kretschmann. Es gebe jedoch noch keine Vorentscheidung. Der Ministerpräsident und Kultusministerin Susanne Eisenmann wollen sich am Donnerstag verständigen, wie man mit Grundschulen und Kitas weiter verfährt. Eisenmann dringt vehement auf eine Öffnung im Sinne der jüngeren Kinder. In den weiterführenden Schulen soll es bis Ende Januar Fernunterricht geben, allerdings sind für Abschlussklassen Ausnahmen vorgesehen. Die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag am Montag bei 138,5. Alle 44 Stadt- und Landkreise lagen über dem Wert von 50 – der Wert, von dem an ein Kreis als Risikogebiet gilt. In Heilbronn, Pforzheim und dem Landkreis Calw wurde sogar die Marke von 200 überschritten.
Kretschmann wandte sich gegen eine Impfpflicht für Pflegepersonal. Man habe sich die ganze Zeit gegen eine Impfpflicht in dieser Pandemie ausgesprochen. „Das ändern wir jetzt nicht mittendrin.“ Gleichwohl sei er dafür, dass sich der Ethikrat mit dieser Frage befasse. „Das finde ich sehr wichtig.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte gesagt, es sei auffällig, dass sich viele Pflegekräfte nicht impfen lassen wollten. Deshalb müsse man eine Debatte über eine Impfpflicht für diese Berufsgruppe führen. Kretschmann sagte, man müsse „sehr stark werben, dass das Personal sich impfen lässt“. Ansonsten wachse das Misstrauen in der Bevölkerung, weil diese sich frage: „Aha, die sind näher dran, warum machen die das nicht?“
Er sei auch nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen sei, dass sich die Regierungschefs im Land nicht vorrangig impfen ließen. „Ich bin da eigentlich schon sehr dafür, dass wir uns öffentlichkeitswirksam impfen lassen.“ Wenn sich die führenden Politiker nicht sofort impfen ließen, entstehe daraus ebenfalls Misstrauen. Er versprach aber: „Sobald ich dran bin, werde ich mich impfen lassen.“
Gesundheitsminister Manne Lucha erklärte, nach seinen Informationen wollten sich etwa 60 Prozent des Pflegepersonals in Pflegeheimen und Krankenhäusern im Südwesten impfen lassen. Er berichtete, auch die Gesundheitsminister von Bund und Ländern seien sich in einer Schalte am Montag einig gewesen, dass es keine Impfpflicht für das Pflegepersonal geben könne. Der Tenor sei gewesen: „Wir können jetzt nicht schon wieder für Verunsicherung sorgen.“ Lucha versicherte für sich: „Ich würde mich auch als oberster Minister impfen lassen.“
Der Minister verwahrte sich gegen die Vorwürfe der Evangelischen Heimstiftung, die der Landesregierung schwere Versäumnisse beim Schutz besonders gefährdeter Menschen in Pflegeheimen vorgeworfen hatte. Dass es mit den Impfungen noch eher langsam vorangehe, liege am fehlenden Impfstoff, sagte der Grünen-Politiker. Wenn sich der Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider über die Teststrategie des Landes beschwere, müsse er ihn tadeln. Das Land habe den Trägern von Heimen extra Geld für werktägliche Schnelltests zukommen lassen. Nun müssten sie auch dafür sorgen, dass ihr Personal diese Selbsttests zu Hause vor dem Weg zur Arbeit mache.
Schneider hatte bemängelt, die neue Corona-Verordnung sei nicht tragfähig. „Alle Besucher und Mitarbeiter, also alle Personen, die ein Haus betreten, müssen unmittelbar vorher einen Schnelltest machen und während des Aufenthaltes eine FFP2-Maske tragen.“ Zwar komme jetzt für alle Besucher die Testpflicht und die FFP2-Maske. „Doch der Test muss nicht am Tag des Besuchs und auch nicht vor Ort gemacht werden“, bemängelte Schneider. „Sollen wir mit Coronaleugnern diskutieren, ob ein Test von gestern ausreicht?“ Er warnte: „Da wird eine Sicherheitslücke aufgemacht, die sehr riskant und unnötig ist.“ Die Evangelische Heimstiftung ist nach eigenen Angaben das größte Pflegeunternehmen im Südwesten, zu dem unter anderem 86 Pflegeheime gehören.