Region (dpa/dk) – Die schwächelnde Konjunktur geht auch an der Wirtschaft im Südwesten nicht spurlos vorbei – und verursacht immer größere Sorgenfalten in den Chefetagen. Eine anhaltende Wirtschaftsflaute dürfte aber nicht nur die Betriebe treffen, sondern auch ihre Mitarbeiter.
Weltweite Krisen, Inflation, Konjunkturflaute: Die Stimmung in der baden-württembergischen Wirtschaft ist zunehmend angespannt. Das zeigt eine neue Umfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK).
Es zeigt sich, dass sich nicht nur die Erwartungen der Unternehmen eintrüben, sondern auch die aktuelle Lage. Der Knick, der jetzt da ist, bedrückt mich. Der macht mir Sorgen,
sagte der Präsident der für das Thema Volkswirtschaft zuständigen IHK Region Stuttgart, Claus Paal. Probleme gibt es laut Paal zur Genüge: Unsicherheiten durch weltweite Krisenherde, die hohe Inflation sowie die hohen Energiepreise, eine schwächelnde Weltwirtschaft und steigende Zinsen – sie bremsen den Angaben zufolge die Nachfrage. Das hat negative Auswirkungen auf die Erwartungen vieler Wirtschaftszweige – und könnte bald auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Land betreffen.
In der Umfrage sank der Indikator für die aktuelle Geschäftslage im Vergleich zum Frühjahr von 30,9 auf 15,6 Punkte. Der Saldo zwischen positiven und negativen Einschätzungen der Betriebe ist also noch positiv. Schlechtere Werte gab es zuletzt aber nur nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er Jahre, der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007 sowie zu Beginn der Corona-Pandemie. Noch pessimistischer blicken die Unternehmen auf die Entwicklung der kommenden zwölf Monate. Der Indikator für die Geschäftserwartungen von Industrie und Handel lag bei minus 17,1 Punkten – und damit deutlich unter dem Wert der Frühjahrsumfrage. Damals war er noch leicht positiv, aber bereits unter dem langjährigen Mittelwert.
Die Stimmung ist in der aktuellen Umfrage des BWIHK nahezu über alle Branchen hinweg eingebrochen. Besonders schlecht war sie aber in der Bauwirtschaft, im Groß- und Einzelhandel sowie der Industrie. «Die Industriebetriebe waren immer unsere große Stütze und Stabilisierung. Die haben sich jetzt aber auch negativ geäußert», sagte Paal. Die Industrie ist insbesondere beim Ausblick auf die kommenden Monate pessimistischer als die gesamte Wirtschaft im Südwesten. Im Frühjahr schauten die Betriebe noch leicht zuversichtlich in die Zukunft. Nun überwiegend die negativen Einschätzungen die optimistischen Prognosen deutlich (minus 22,5 Punkte). Die größten Risiken für ihre Geschäftstätigkeit sahen die befragten Industriebetriebe in der schwächelnden Nachfrage im Inland, den hohen Energiepreisen, den Arbeitskosten und dem Fachkräftemangel.
Wegen der schlechten Stimmungslage müssen sich voraussichtlich auch die Beschäftigten in Baden-Württemberg etwas wärmer anziehen. Denn neben anstehenden Investitionen verschieben viele Unternehmen auch ihre Beschäftigungspläne. Danach gefragt, ob sie im kommenden Jahr mit einer steigende oder sinkenden Mitarbeiterzahl rechnen, geben mehr Unternehmen letztere Antwortmöglichkeit an (minus 10,6 Punkte). Noch deutlicher fällt dieses Umfrageergebnis in der Industrie und der Bauwirtschaft aus. Gleichbedeutend mit einem Abbau von Stellen sei es aber nicht.
Wenn die Inlandsnachfrage wegbricht, wenn die Konjunktur sich so weiterentwickelt, steht das zur Disposition. Ich wünsche mir das aber wirklich nicht und möchte das auch nicht herbeireden,
sagte Paal. Momentan sehe man diese Entwicklung noch nicht. In der Südwest-Industrie arbeiten dem Statistischen Landesamt zufolge mehr als 1,5 Millionen Menschen, in der Bauwirtschaft rund 350 000 Menschen. Unternehmen können die Beschäftigtenzahl zum Beispiel auch dadurch senken, indem sie frei werdende Stellen nicht nachbesetzen.
Nach Ansicht Paals ist nun die Politik gefordert. «Wir sind dermaßen mit lähmendem Kleinklein beschäftigt, dass wir es verpassen, die zentralen politischen Ziele (…) umzusetzen», sagte er. Unnötige Hemmnisse müssten beseitigt und der andauernde politische Streit beendet werden. Es brauche mehr Geschwindigkeit bei den Themen Fachkräftezuwanderung, Bürokratieabbau, Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit und grüne Innovationen. Fast jedes dritte Unternehmen sehe die politischen Rahmenbedingungen hierzulande mittlerweile als bedeutendes Geschäftsrisiko.
Wir müssen anpacken und unsere Hausaufgaben machen, damit die Wirtschaft das tun kann, was sie am liebsten tut: Innovationen schaffen, nach Aufträgen gucken sonst verlieren die Unternehmen endgültig den langen Atem,
sagte Paal. Dazu brauche man klare, berechenbare politische Vorgaben und vor allem Bewegungsfreiheit. An der Umfrage haben sich zwischen Mitte September und Anfang Oktober landesweit 3340 Unternehmen aller Größen und Branchen beteiligt. Der BWIHK ist der Dachverband der Industrie- und Handelskammern im Land und vertritt nach eigenen Angaben etwa 650 000 Unternehmen.