Karlsruhe/Stuttgart (dpa/lk) – Eigentlich gibt Kretschmann den strengen Corona-Krisenmanager. Doch bei den Kleinsten hat sich der grüne Regierungschef erweichen lassen. Sie sollen ein stückweit in den Alltag zurückkehren können – wenn die neuen Virusvarianten nicht noch alles auf den Kopf stellen. Derzeit steht die Öffnung von Kitas und Grundschulen im Raum. Eine Entscheidung soll am Mittwoch fallen.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann geht davon aus, dass Kitas und Grundschule im Land vom kommenden Montag an schrittweise wieder öffnen können. Die endgültige Entscheidung werde er an diesem Mittwoch treffen, sagte Kretschmann. Die Corona-Infektionszahlen sinken seit fast drei Wochen und diese Tendenz sei belastbar. „Deswegen ist es verantwortbar das zu machen“, sagte der Grünen-Politiker. Wenn nicht noch etwas Überraschendes passiere, werde man Kitas und Grundschulen im Wechselbetrieb „behutsam“ wieder öffnen können. Diese sind wie die meisten weiterführenden Schulen seit dem 18. Dezember geschlossen.
Die „Grundstruktur“ des Konzepts des Kultusministeriums für die Öffnung der Grundschulen liege vor, sagte der Regierungschef. Die Klassen würden halbiert. Es gebe keine Präsenzpflicht und die Notbetreuung sei gewährleistet. Zudem lägen hochwertige Masken für Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen vor. Kretschmann betonte jedoch, wenn sich die neuen, wohl aggressiveren Virusvarianten aus Großbritannien oder Südafrika im Südwesten verbreiteten, gebe es eine neue Lage. „Das kann zu drastischen Maßnahmen führen.“ Dann müssten auch Lockerungen wieder zurückgenommen werden, kündigte er an. „Wir sind noch nicht über den Berg. Wir sind in der schwierigsten Phase der Pandemie.“
Zusätzlich wollen Land und Kommunen Eltern für die Zeit des verschärften Corona-Lockdowns in den Kitas die Gebühren zurückerstatten. Das Land werde 80 Prozent der Kosten tragen, die Kommunen sollen 20 Prozent übernehmen, erfuhr die Deutschen Presse-Agentur am Dienstag aus Koalitionskreisen. Eltern, die ihre Kinder in die Notbetreuung geschickt haben, haben demnach keinen Anspruch auf eine Erstattung. Bereits nach dem Frühjahrs-Lockdown hatten Land und Kommunen Elternbeiträge zurückerstattet. Die Kita-Beiträge variieren von Kommune zu Kommune. Die Erstattung gilt auch für Kindertageseinrichtungen von kirchlichen oder anderen privaten Trägern. Eltern müssten die Erstattung beim Träger der Kitas, Kindergärten oder Krippen beantragen, erklärte der Städtetag.
Kultusministerin Susanne Eisenmann dringt seit geraumer Zeit massiv auf die Öffnung. Sie wollte Kitas und Grundschulen eigentlich schon nach den Weihnachtsferien öffnen – „unabhängig von den Inzidenzen“. In Baden-Württemberg gehen etwa 450.000 Kinder in Kitas und rund 382.000 besuchen eine Grundschule. Es gebe kaum Kinder, die mit Bussen und Bahnen in die Betreuung oder in die Grundschule kämen, betonte Kretschmann. Sie kämen zu Fuß oder würden von den Eltern gebracht. Das sei schon mal positiv. Experten sagten, Kinder unter zehn Jahren seien keine „Treiber“ des Pandemiegeschehens.
Eisenmann greift dem Vernehmen nach bei ihrem Konzept für die Öffnung auf Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 zurück, als man nach dem ersten Lockdown auch schrittweise den Betrieb wieder hochfuhr. Demnach soll nur die Hälfte der Klassen oder Gruppen kommen. Ob das im Wochen- oder Tageswechsel ablaufen soll, kann voraussichtlich vor Ort unterschiedlich sein. Zu Beginn sollen in der Grundschule auch nur die ersten und zweiten Klassen kommen. In den Fasnachtsferien soll überprüft werden, ob die Öffnung Einfluss auf die Infektionszahlen haben.
Auf ein Datum für die Öffnung von weiterführenden Schulen wollte sich Kretschmann nicht festlegen – auch wenn die Kultusministerin hier ebenfalls Druck macht. „Es ist richtig, die Öffnungsstrategien werden grundsätzlich gemacht für Inzidenzen unter 50“, sagte der Grünen-Politiker. Es gebe jetzt nur Ausnahmen für Unter-10-Jährige. „Darüber hinaus machen das Konzept die Chefs der Staatskanzleien und das Bundeskanzleramt.“ Er setze hier auf eine gemeinsame Linie. „Wir wollen schauen, dass wir beisammen bleiben.“ Bislang gibt es bei weiterführenden Schulen nur Ausnahmen für Abschlussklassen.
Der Umgang mit den Schulen hatte bei den Beratungen der Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel vor einer Woche für einen langen Streit gesorgt. Mit der Lockerung zwei Wochen vor Ablauf des zunächst bis zum 14. Februar befristeten Lockdowns würde Baden-Württemberg, das in vielen Bereichen einen strengen Corona-Kurs fährt, einen Sonderweg beschreiten. Bund und Länder hatten den Lockdown auch an Schulen und Kitas bis Mitte Februar verlängert. Allerdings sind die Länder für die Bildungspolitik zuständig, und der Beschluss lässt ihnen Spielraum. Demnach ist Präsenzunterricht möglich, wenn die Präsenzpflicht ausgesetzt ist. Das ist in Baden-Württemberg schon seit Sommer der Fall. Auch in anderen Bundesländern sind teilweise Schulen und Kitas grundsätzlich offen, aber eher als erweiterte Notbetreuung. Die Präsenzpflicht ist ausgesetzt oder Eltern werden gebeten, ihre Kinder nicht zu bringen – so etwa in Hessen. So umging man es, Ausnahmeregeln für bestimmte Berufsgruppen zu schaffen für eine Notbetreuung.
Kretschmann erteilte der Forderung von FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke nach einer Lockerung der Ausgangsbeschränkungen am Abend und in der Nacht eine Absage. „Erfahrungen aus Österreich zeigen, dass man nicht zu früh öffnen darf“, sagte Kretschmann. Deswegen werde man an der Ausgangssperre festhalten. Rülke hatte gesagt: „Es gibt keine Rechtfertigung mehr für die Ausgangssperre, wenn kein Kreis mehr über dem Inzidenzwert von 200 ist.“ Die besonders strengen Beschränkungen im Südwesten, die von 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr gehen, seien damit begründet worden, dass es Land- und Stadtkreise gebe, die eine Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 haben. Rülke verlangte „eine nachvollziehbare Öffnungsstrategie“. Die Hinweise von Bund und Ländern, der Lockdown müsse fortgesetzt werden, weil neue, aggressivere Virusvarianten die Lage zu verschärfen drohten, hält der FDP-Mann für nicht mehr nachvollziehbar. „Wenn man immer nur fürchtet, es könnten Mutanten kommen, dann kann man nie wieder öffnen.“
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen sinkt in Baden-Württemberg im Zuge des Lockdowns weiter und liegt derzeit bei 86,9. Kurz vor Weihnachten lag diese Sieben-Tage-Inzidenz im Südwesten bei über 200.