Der Weg zu wirklich rundherum digitalisierten Behörden ist in Deutschland lang und steinig. Vor allem, weil nicht zuletzt durch die Pandemie die Mängel zu offensichtlich wurden und nun in sämtlichen Bundesländern Tempo gemacht wird. Dazu werden nicht nur neue Stellen geschaffen, sondern sogar neue Studiengänge.
Denn das Ziel ist glasklar: Deutschlands Behörden haben einen umfassenden digitalen Nachholbedarf. Das gilt sogar bei uns, obwohl Baden-Württemberg aus verschiedenen Gründen besser dasteht als andere Bundesländer. Wir zeigen jetzt, welche Behörden den größten Bedarf haben und welche Fachkräfte dafür gebraucht werden.
Gesundheitsämter, die ihre täglichen COVID-Fallzahlen per Fax ans RKI übermitteln; angehende Bauherrn, die mehrere Urlaubstage benötigen, weil sie persönlich alle Anträge beim Bauamt einreichen müssen; Selbstständige, die teils ein halbes Jahr und länger auf Überbrückungshilfen warten müssen, weil die Formulare händisch von Bürgeramtsmitarbeitern in den Computer eingetippt werden müssen.
Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Und selbst, wenn die Aussagen einiger starker Digitalisierungsbefürworter überzogen sein mag, wonach Behördendeutschland ein „digital failed state“ sei, so lässt sich der immense Nachholbedarf doch nicht von der Hand weisen. Bloß stellt sich die Frage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Eine einfache Antwort ist leider nicht möglich. Tatsächlich sind es verschiedene Gründe, die zusammen eine problematische Melange ergeben:
Allerdings zeigt nicht zuletzt die Tatsache, wonach wir seit der Bundestagswahl einen mit vielen Befugnissen ausgestatteten Bundes-Verkehrs- und -Digitalminister haben, dass so langsam Tempo in die Sache kommt.
Deutschlands Polizeisystem ist ein hervorragendes Beispiel für die Zersplitterung durch den Föderalismus. Am untersten Ende stehen die Länderpolizeien mit ihren verschiedenen Präsidien. Also das, was die meisten am ehesten mit der Polizei in Verbindung bringen.
Hier besteht die wichtigste digitale Baustelle darin, überhaupt moderne Systeme für die ganz alltägliche Arbeit zu implementieren. Das beginnt bereits beim Anlegen und Pflegen einer ganz normalen Ermittlungsakte bei einem Verkehrsunfall und erstreckt sich bis hinein in die technischen Möglichkeiten zur diesbezüglichen Vernetzung verschiedener Behörden.
Baden-Württemberg ist in dieser Hinsicht ein bundesweiter Vorreiter. Hier befindet sich derzeit ein umfassendes, einzigartiges System in der Einführung: VIS-Polizei. Eine Plattform, die sämtliche Arbeiten der täglichen Polizeiarbeit in digitaler Weise zusammenfasst und gleichzeitig einen spielend leichten Informationsaustausch ermöglicht. Dasselbe System soll bald in Sachsen und Thüringen eingeführt werden, Bremen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt sowie andere Länder sind ebenfalls stark interessiert.
Wo Polizeibeamte bislang unterschiedlichste Systeme für verschiedene Verwaltungsvorgänge nutzen mussten, wird bei VIS-Polizei alles auf eine Plattform verlagert – und somit schneller, simpler und einfach rundweg effizienter.
Für solche Aufgaben sind nicht zuletzt Profis für digitale Transformation gefragt. Denn durch den Föderalismus ist die digitale Kompetenz von Polizeibeamten höchst unterschiedlich. Es reicht also nicht nur, ihnen gute Systeme an die Hand zu geben, sondern es werden Leute gebraucht, die alle Beamtinnen und Beamten auf denselben Wissensstand bringen.
Die Kriminalämter sind Deutschlands Werkzeuge im Kampf gegen schwere und schwerste Kriminalität sowie die Abwehr dieser. Als solche müssen diese Behörden hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit eine Speerspitze darstellen – und waren es bislang auch.
Das Problem: Kriminalität in jeglicher Form enthält eine ständig wachsende digitale Komponente. Zudem bekommt reines Cybercrime einen immer größeren Stellenwert – beides lässt sich über die Lagebilder des BKA sehr gut nachvollziehen. Je weniger die Kriminalämter dabei nachziehen, desto weniger leistungsfähig werden sie.
Hier sind nicht so sehr Systeme gefragt als vielmehr Fachkräfte. Die Kriminalämter brauchen einfach viel mehr Profis, die sich in digitalkriminellen Belangen auskennen und die sich in diese Art von Kriminellen hineinversetzen können – Dinge, die sich kaum mit einigen Lehrgängen erlernen lassen. Hierzu gibt es mehrere Strategien:
Letzten Endes kann sich hier jeder, der einschlägige Ausbildungen oder Studiengänge absolviert hat, umsehen. Nicht zuletzt, weil an diesem Punkt die Grenzen zwischen Bund und Ländern sowie den Kriminalämtern verschwimmen.
Was das Thema Behörden anbelangt, so dürfte die für die meisten Menschen bekannteste Schnittstelle dort liegen, wo sie ihren neuen Ausweis beantragen, Meldebestätigungen bekommen oder sich den staatlichen Teil des Ja-Worts geben. Eben die Bürgerämter. Sie sind es deshalb, die am besten als Beispiel für den insgesamt bestehenden Nachholbedarf aller Behörden zwischen Bau- und Finanzamt stehen können.
Hier, so zeigt es eine umfassende Studie der Hans-Boeckler-Stiftung aus dem Jahr 2019, werden nicht nur besonders viele Dienstleistungen erbracht, die durch die Digitalisierung erheblich erleichtert werden können. Bürgerämter sind überdies für viele Menschen der digitale Erstkontakt zur allgemeinen Verwaltung und deshalb besonders wichtig über das Empfinden von Erfolg oder Misserfolg behördlicher Digitalisierungsbestrebungen.
Die Kritik: Nach wie vor ist es viel zu selten möglich, derartige Vorgänge vollständig digital durchzuführen. Fast immer gibt es einen (je nach Bürgeramt und Bundesland) mehr oder weniger großen sogenannten Medienbruch.
Der wichtigste Faktor hierbei ist das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG). Vereinfacht gesprochen müssen bis Ende 2022 575 besonders wichtige Verwaltungsdienstleistungen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene vollständig digitalisiert werden. Um ständig Klarheit über den Ist-Zustand zu bekommen, wurde ein dazugehöriges Dashboard aufgestellt. Es informiert live darüber, wie viele dieser Dienstleistungen in welchem Bundesland nach Wortlaut des Gesetzes tatsächlich digital verfügbar sind.
Allerdings zeigt sich immer wieder, dass es den Bürgerämtern, ganz ähnlich wie vielen andere Behörden, an einer Grundzutat mangelt: Digitalkompetenz bei den Mitarbeitern und Beamten. Aus diesem Grund wurde der Studiengang Digitale Verwaltung konzipiert. Ein Bachelor-Studiengang, der ausschließlich modernes Verwaltungswissen mit Schwerpunkt auf die Digitalisierung vermittelt – und so möglichst rasch eine neue Generation von Verwaltungspersonal in die Amtsstuben und Behörden bringen soll.
Ganz ähnlich verhält es sich beim Studiengang Digitales Verwaltungsmanagement, der unter anderem bei uns an den Verwaltungshochschulen in Ludwigsburg und Kehl angeboten wird.
Deutschlands Behörden kranken in ihrer Gesamtheit an einem viel zu geringen Digitalisierungsgrad – zumindest für eine derartig bedeutsame Wirtschaftsnation. Es kommt deshalb weniger darauf an, den Finger auf einzelne Behörden zu richten, als vielmehr die Gesamtheit der Strukturen, die überhaupt erst zu einer solchen Situation führen konnten.
Allerdings muss man sowohl Bund als auch Ländern zugutehalten, die Problematik nicht nur erkannt zu haben (das geschah schon vor vielen Jahren), sondern endlich zu handeln. Doch was bedeutet das für die Berufsaussichten? Ganz einfach: Jeder, der sich in irgendeiner Form mit Digitalisierung und IT beruflich befassen möchte, hat aktuell und wohl noch für längere Zeit allerbeste Chancen, dies als Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes zu tun. Dabei kommt es nicht einmal so sehr auf den konkreten Beruf an, sondern viel mehr auf eine geistige Einstellung:
Deutschlands Behörden sollen die längst überfällige Digitalisierung bekommen, damit unsere Bürger die diesbezüglichen Dienstleistungen in einer Form wahrnehmen können, die in anderen Ländern teilweise schon seit Jahrzehnten gang und gebe ist. Insofern spielt es weniger eine Rolle, ob sich ein junger Mensch mehr mit dem Programmieren befassen möchte, mit dem Schulen von anderen oder mit der digitalen Kriminalitätsbekämpfung: In der jetzigen Aufbruchstimmung wird tatsächlich jeder benötigt.
Insofern beste Chancen für alle, die zwar gerne das Thema Digitalisierung beruflich verwirklichen möchten, aber nicht in die freie Wirtschaft wollen, sondern dahin, wo der Kontakt zum Staat für alle Bürger am stärksten greifbar ist.