Karlsruhe/Kalifornien (pm/cmk) Es waren Bilder, die die Welt schockierten. Die verheerenden Wald- und Buschbrände in Kalifornien Anfang November haben viele Menschenleben gefordert und schwere Verwüstungen hinterlassen. Auch Wochen nachdem das Feuer komplett eingedämmt werden konnte, werden noch hunderte Opfer vermisst. Die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. aus Karlsruhe war mit einem Team der Notfallpädagogik vor Ort, um die Einheimischen im Katastrophengebiet psychosozial zu unterstützen.
Besonders schwer traf das Feuer den Norden des US-Bundesstaates Kalifornien. Am 8. November brach dort das sogenannte „Camp Fire“ aus und zerstörte mehr als 60.000 Hektar Land. Dabei kamen rund um die fast völlig abgebrannte Ortschaft Paradise mindestens 80 Menschen ums Leben und etwa 700 weitere Opfer werden noch vermisst. Seit Beginn der dortigen Aufzeichnungen gab es noch nie so viele Todesopfer bei einem Brand. Es handelt sich daher um die schwerste Feuerkatastrophe in der Geschichte des Westküstenstaates.
Bernd Ruf, geschäftsführender Vorstand der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. aus Karlsruhe und Gründer der Notfallpädagogik, leitete den Einsatz in Kalifornien. Zusammen mit seinen Teamkollegen aus Deutschland und Brasilien und etwa acht amerikanischen Pädagogen und Pädagoginnen arbeitete er an der Blue Oak Charter School in Chico. Dort, etwa 20 Kilometer westlich von Paradise, wurden die Opfer größtenteils in Auffanglagern untergebracht. Zwar hat der normale Schulalltag inzwischen wieder begonnen, aber er ist stark beeinträchtigt durch die schrecklichen Erlebnisse.
Viele Lehrer und Schüler sind obdachlos und leben in Auffanglagern. Sie haben zum Teil alles in den Flammen verloren, ihre Angehörigen, ihre Häuser, ihren Lebensmittelpunkt. „Die Kinder sind daher stark verhaltensauffällig und ihre Eltern oder Erzieher machen sich große Sorgen um sie“, erläutert Bernd Ruf. Doch auch für die Erwachsenen sind die traumatischen Erlebnisse schwer belastend und sie können kaum darüber sprechen. „Nach Paradise zu fahren ist für viele unvorstellbar. Zu groß ist die Angst davor, dem Gesicht der Katastrophe in die Augen zu blicken“, so Ruf. Psychische Auswirkungen zeigen sich oft erst Wochen, Monate oder Jahre nach einer solchen Katastrophe. „Durch unsere Intervention versuchen wir in der Frühphase der traumatischen Belastung anzusetzen und damit Traumafolgestörungen zu verhindern“, erklärt Ruf.
Im Rahmen von Workshops und Seminaren wurden Erzieher und Lehrer, unter Einbeziehung der Eltern, an der Schule in Chico beraten und geschult. Das Notfallpädagogik-Team hat sie in die Traumatologie eingeführt und ihnen Methoden zur Selbststabilisierung vermittelt. Vormittags stand die Aktivierung der Selbstheilungskräfte der Kinder im Vordergrund. „Durch künstlerische Aktivitäten können Kinder das Erlebte nonverbal ausdrücken, was den Verarbeitungsprozess zusätzlich unterstützt“, veranschaulicht Ruf weiter. Anhand von gemalten Bildern lässt sich meist gut erkennen, wie es im Inneren der Kinder aussieht und wie schwer ihre Seele belastet ist. Für die Betroffenen und Hinterbliebenen in der Region wird es sicher noch ein langer Weg sein, die furchtbaren Geschehnisse zu verarbeiten.
Die Notfallpädagogik der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V. ist eine humanitäre Hilfsorganisation mit Sitz in Karlsruhe, die traumatisierte Kinder und Jugendliche in Kriegs-und Katastrophengebieten bei der Verarbeitung ihrer traumatisierenden Erlebnisse unterstützt. Seit über 10 Jahren reisen die nationalen und internationalen ehrenamtlichen Teams – bestehend aus erfahrenen Pädagogen, Therapeuten und Ärzten – in Krisenregionen, um bei der Bewältigung der traumatischen Erlebnisse zu helfen, bevor Traumafolgestörungen entstehen können.
Dieses Jahr waren sie unter anderem auf den Philippinen (nach dem Wirbelsturm Mangkhut), zweimal in Indonesien (nach dem Erdbeben und Tsunami) und in Kalifornien (nach den verheerenden Waldbränden) im Einsatz. Stabilisierende Maßnahmen auf Grundlage der Waldorfpädagogik bilden die Grundlage für die Arbeit der Interventionsteams. Ein bestimmter Tagesablauf mit Ruhe- und Aktionsphasen sowie Spielphasen und künstlerische Tätigkeiten helfen dabei, die Selbstheilungskräfte wieder zu aktivieren. Dabei werden kulturspezifische Elemente wie landesübliche Kinderlieder- und spiele in die Arbeit integriert. Ein weiterer Bestandteil ist die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften vor Ort, um eine nachhaltige Hilfe zu gewährleisten.