Region (lea) – Kinder sind die Zukunft der Gesellschaft. Viele von ihnen sehen sich bei ihrer Verwirklichung aber mit immer mehr Stolpersteinen und Hürden konfrontiert. Eine der größten Herausforderungen für Kinder und Jugendliche auf ihrem Lebensweg ist die Armut. „Die Kinderarmut war schon in den letzten Jahren auf sehr hohem Niveau und ist jetzt noch mal gestiegen – zum einen durch die Inflation, aber auch durch die Nachwirkungen der COVID-Krise“, berichtet Eric Großhaus. Der Kinderarmuts-Experte von Save the Children ist besorgt: „Wir sehen jetzt gerade, dass alles teurer wird und sich Familien noch weniger leisten können. Jeder Euro muss zweimal umgedreht werden.“
Zu einem ähnlich alarmierenden Fazit kommt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung. Das über 30 Seiten lange Factsheet wurde zu Beginn dieses Jahres veröffentlicht. 2,88 Millionen Kinder unter 18 Jahren gelten in Deutschland als armutsgefährdet, heißt es darin. Umgerechnet ist das rund jedes fünfte Kind hierzulande.
Armutsgefährdet sind Betroffene dann, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung leben müssen. Bei der Bezifferung von Armut in Deutschland hat sich die Definition der sogenannten Relativen Armut durchgesetzt: Ein Mensch ist arm, wenn er sich den durchschnittlichen und selbstverständlichen Lebensstandard einer Gesellschaft nicht leisten kann.
Das hat drastische Folgen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – vor allem für Kinder. „Zum Beispiel können sie sich nicht gesund ernähren oder auch ihre soziale Teilhabe ist eingeschränkt“, so Großhaus. „Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht den Hobbys nachgehen können, denen sie nachgehen wollen oder dass auch Freizeitaktivitäten nicht so einfach zu machen sind.“
Kinder, die in alleinerziehenden Familien oder in Mehrkindfamilien aufwachsen, sind besonders oft armutsgefährdet. So verfügen in Baden-Württemberg beispielsweise 27,5 Prozent der Familien mit drei oder mehr Kindern über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung. Sie sind demnach armutsgefährdet. Die Zahlen variieren bundeslandspezifisch: Trauriger Spitzenreiter ist dabei Bremen mit einer Armutsgefährdungsquote von 41,1 Prozent von Kindern und Jugendlichen. „Wobei es eine Häufung gibt bei den Familien, die von Transferleistungen abhängig sind. Und auch Familien mit Migrationshintergrund sind öfters betroffen“, fügt Markus Barton, Geschäftsführer der AWO Karlsruhe, an.
Die Auswirkungen von Kinderarmut sind vielfältig. So schreibt die Bertelsmann Stiftung in ihrem Fazit: „Armut begrenzt junge Menschen. Beispielsweise werden sie mit Blick auf ihre Gesundheit benachteiligt.“ Denn finanziell gut gestellte Familien würden für ihre Kinder für therapeutische Angebote rund zehnmal mehr Geld ausgeben als einkommensschwächere Eltern. Daneben gehen armutsbetroffene Kinder weniger oft aufs Gymnasium oder beginnen ein Studium.
„In Deutschland haben wir einen gut aufgebauten Sozialstaat. Aber wir stellen auch fest, dass es eine große Anzahl von Menschen gibt, die immer noch durch die Maschen dieses eigentlich gut gewebten Netzes fallen“, fasst der Geschäftsführer der AWO Karlsruhe zusammen. Barton ist gleichzeitig auch der stellvertretende Vorsitzende der Hanne Landgraf Stiftung. Diese versteht sich als „soziale Lobby gegen Kinderarbeit in Karlsruhe“, heißt es auf der Stiftungsseite.
In Form von Individualhilfe und nachhaltiger Projekthilfe fördert die Hanne Landgraf Stiftung von Armut betroffene Kinder. „Bei der Individualhilfe helfen wir bei akuten Notlagen“, erklärt Markus Barton. Mit Beträgen bis zu 250 Euro werden Familien bei der Anschaffung neuer Klamotten, Schulmaterialien oder dem monatlichen Mitgliedsbeitrag zum Fußballverein unterstützt. Die Projekthilfe hingegen unterstützt Aktionen, die den Kindern und Jugendlichen neue Perspektiven eröffnen sollen. „Das kann die Teilnahme an einem Chor oder an einer Theateraktion sein“, so der stellvertretende Vorsitzende: „Die Kinder haben dadurch die Möglichkeit, eigene Potenziale zu erkennen.“
Mit Blick auf die neuesten Zahlen fordern Experten jetzt noch lauter die sogenannte Kindergrundsicherung. Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung sieht ein solches Konzept vor. „Die Kindergrundsicherung ist eine Reform der Sozialleistungen für Kinder. Sie soll dafür sorgen, dass endlich jedes Kind auch dieses Geld bekommt, worauf es einen Anspruch hat. Das heißt, es soll eine Vereinfachung der bisherigen Maßnahmen sein“, erläutert der Kinderarmuts-Experte von Save the Childern, Eric Großhaus. Bei der Erstellung des Konzepts sollen die mitreden, um die es geht: die Kinder. Das fordert die Bertelsmann Stiftung und begründet: „Denn junge Menschen haben ein Recht auf Gehör und Beteiligung.“