Region (lea) – Eigentlich wurden sie eingesetzt, um zur Verkehrswende beitragen zu können. Aktuell bereiten die E-Scooter aber vor allem eins: Ärger. Denn schon wieder steigt die Zahl der Verkehrsunfälle mit den elektrischen Scootern deutlich an. Die neueste Statistik zeigt: Im Jahr 2022 waren es allein in Karlsruhe 78 gemeldete Fälle. Während Skeptiker jetzt noch lauter als zuvor für eine Helmpflicht plädieren, schlagen Optimisten die Lockerung der gültigen Promillegrenze vor. Dabei geht ein Großteil der Unfälle auf unter Alkoholeinfluss stehende Fahrer zurück. Daneben wird der Scooter unterschätzt. „Diese Leichtigkeit des Geräts ist gleichzeitig sein Handicap“, findet Martin Plate, Leiter der Verkehrspolizeiinspektion in Karlsruhe.
Im Jahr 2019 – als die ersten E-Scooter den Markt eroberten – verzeichnete die Statistik in Karlsruhe noch keine Unfälle. Seitdem wächst die Zahl der Stürze und Verletzungen stetig an. Auch die neu veröffentlichten Zahlen aus dem vergangenen Jahr betonen den Trend: „Im Jahr 2022 hatten wir 78 Verkehrsunfälle mit Elektrokleinstfahrzeugen, also E-Scootern“, so Martin Plate. Der Leiter der Verkehrspolizeiinspektion in Karlsruhe kennt die aktuellen Zahlen genau: „Wenn man das prozentual betrachtet, ist das ein Anstieg um rund 18 Prozent.“ In Baden-Württemberg fällt die Bilanz des vergangenen Jahres ähnlich aus: 834 Unfälle mit E-Rollern stehen in der Verkehrsunfallbilanz. Alarmierend dabei: Im Jahr zuvor, 2021, waren es noch 570.
Die Unfälle würden sich in Karlsruhe vorwiegend im Stadtgebiet ereignen. Denn dort sei die Verfügbarkeit von E-Scootern besonders hoch. 45 Leichtverletzte und 6 Schwerverletzte E-Scooter-Fahrer beklagt die Karlsruher Unfallstatistik des vergangenen Jahres. Gestorben sei aber während des gesamten Erfassungszeitraums seit 2019 noch niemand, so Plate. Viele der Nutzer würden die Straßenverkehrsordnung nicht beachten. Oder sie wissen nicht, dass das Fahren mit dem Scooter auf dem Gehweg verboten ist. Die daraus resultierenden Unfälle seien besonders typisch, erklärt der Polizist.
„Eigentlich ist den E-Scooter-Fahrern der Radweg zugedacht. Und nicht der Gehweg“, hebt Plate hervor. Des Öfteren komme es daher bei Missachtung zu Zusammenstößen mit Fußgängern. „Viele E-Scooter-Fahrer verunglücken aber alleinbeteiligt. Da spielt Alkohol immer wieder eine Rolle“, erklärt Plate. Es komme häufig vor, dass alkoholisierte Clubbesucher für ihren Heimweg auf einen Scooter zurückgreifen würden. Auch typische Fahrfehler generieren Unfälle. Oft passiere etwas, weil der Nutzer zu schnell gefahren sei. „Das kann bei Nässe, an Gehwegkanten oder an Schienen gefährlich werden.“
Daneben werde der Scooter unterschätzt. „Diese Leichtigkeit des Geräts ist gleichzeitig sein Handicap“, findet Plate. Denn der Scooter könne schnell beschleunigen und habe vergleichsweise kleine Räder. Ist das dem Nutzer nicht bewusst, kann sich das Fahrzeug schnell überschlagen. „Es ist halt ein Kraftfahrzeug“, so der Polizist. „Viele machen sich das nicht klar.“
Und da der E-Scooter ein Kraftfahrzeug ist, gilt für ihn die gleiche Promillegrenze wie bei einem Auto: 0,5 Promille sollten nicht überschritten werden, ansonsten droht ein Bußgeld von 500 Euro. Auch ein Fahrverbot über einen Monat ist möglich. Über diese Grenze wird seit Beginn des Jahres wieder heiß diskutiert: Im Januar trat der Verkehrsgerichtstag in Goslar zusammen. Eine der Themenfelder dabei: Ist der E-Scooter einem Fahrrad oder dem Auto ähnlicher? Und wenn er fahrradähnlich ist, warum gilt dann nicht die Promillegrenze des Fahrrads? Die liegt nämlich bei 1,6 Promille. Und sie gilt auch für E-Bikes. Befürworter einer Lockerung der Grenze betonen daher vor allem, dass ein Scooter höchsten 20 Kilometer pro Stunde schnell fahren könne. Außerdem existiere für den Scooter weder eine Fahrerlaubnis- noch eine Helmpflicht. Genau wie beim Fahrrad.
ADAC und Polizei appellieren hingegen seit Einführung der E-Scooter, das Tragen eines Helms gesetzlich vorzuschreiben. Daniel Günter, der Referent für den Sachbereich Verkehr in Karlsruhe, hat schon so manchen E-Scooter-Unfall miterlebt und aufgenommen. Er erklärt: „Durch das besondere Fahrverhalten bei den E-Scootern, dem geringen Reifendurchmesser und den hohen Schwerpunkt kommt es besonders häufig zu Stürzen über den Lenker. Die gehen dann mit Gesichts- und Kopfverletzungen einher. Da wäre ein Helm sicherlich sinnvoll gewesen.“
Vor rund eineinhalb Jahren wurden in Köln 500 E-Scooter auf dem Grund des Rheins gefunden. Auch sonst prägen die Scooter seit ihrer Einführung das Bild der deutschen Städte. Dabei handelt es sich um ein vom Gesetzgeber ausgelöstes Problem, findet Birke Bronner. Sie arbeitet beim Karlsruher Stadtplanungsamt: „Es ist ein bisschen dem Gesetz geschuldet, dass die E-Scooter überall herumliegen. Der Gesetzgeber hat beschlossen, dass E-Scooter wie das Fahrrad auf dem Gehweg abgestellt werden dürfen. Ansonsten sind sie zu behandeln wie ein Fahrzeug. Damit stellen sie eine Gefahr dar. Vor allem für mobilitätseingeschränkte Personen.“
Denn ein Fahrrad ist für Sehbehinderte wesentlich besser wahrnehmbar als ein Scooter. „Und wenn der Roller dann noch liegt, dann ist es ganz vorbei. Dann ist die Gefahr groß, dass, wenn ich eine Sehbehinderung habe, ich über diesen Roller stolpere. Das geht so nicht“, kritisiert Bronner.
Erfüllt der Scooter das, wozu er geschaffen wurde? Nämlich zur Verkehrswende beitragen? Ja und nein. Darin sind sich die Polizei, das Stadtplanungsamt Karlsruhe und das Bundesumweltamt einig. Das Bundesumweltamt betont vor allem die vielen Ressourcen und Rohstoffe, die für die Herstellung der E-Scooter benötigt werden. Das spiele eine große Rolle bei der generellen Umweltbilanz der Roller. Auch die Lebensdauer und die Recyclingfähigkeit beantworten letztlich die Frage, inwieweit der E-Scooter zur Verkehrswende beitragen kann.
„Von einem Beitrag zur Verkehrswende kann man erst reden, wenn Autofahrten ersetzt werden, die ohne den E-Scooter gar nicht stattgefunden hätten“, so Alex Strobelt vom Bundesumweltamt. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass 43 Prozent der Fahrten mit einem E-Scooter Zusatzfahrten sind. So ganz ohne die Scooter geht es aber auch nicht mehr, findet Birke Bronner vom Stadtplanungsamt: „Die ersten Studien, die wir hier in Deutschland und Europa haben, zeigen, dass der E-Scooter vor allem Fußwege ersetzt. Nichtsdestotrotz sind sie in Zeiten, in denen der ÖPNV nicht gut besetzt ist, also nachts, eine echte Unterstützung.“