Region (dpa/lk) – Die dritte Corona-Welle hat uns fest im Griff und auch die Luft auf den Intensivstationen in der Region wird immer dünner. Dabei beobachten die Mediziner einen Trend: die Patienten sind deutlich jünger, als noch im vergangenen Frühjahr.
Seit über einem Jahr beschäftigt die Corona-Pandemie schon die Krankenhäuser und Kliniken – und es ist kein Ende in Sicht. Gerade jetzt in der dritten Welle sind die Intensivstationen wieder bis zum Anschlag gefüllt. Von den rund 2.400 betreibbaren Intensivbetten im Land sind über 90 Prozent belegt. Mehr als die Hälfte der Corona-Intensivpatienten in den Kliniken wird invasiv beatmet. Hochrechnungen ergeben, dass bereits in zwei Wochen die Kapazitätsgrenze der Krankenhäuser erreicht sein könnte. Mediziner und Wissenschaftler fordern daher eindringlich einen harten Lockdown, um die Infektionszahlen zu drücken und dadurch auch den Druck von den Kliniken zu nehmen. Auch das Robert Koch-Institut hat die Politik eindringlich dazu aufgefordert, die dritte Welle zu brechen. „Wir müssen die Zahlen runterbringen. Es ist naiv zu glauben, das Virus wegtesten zu können. Das funktioniert nicht“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag. Dazu seien Verordnungen, wirksame Strategien und konsequente Umsetzungen nötig.
Erste Häuser haben aufgrund der hohen Auslastung auf den Intensivstationen planbare Operationen verschoben, wie auch schon im ersten Lockdown. Dies hat beispielsweise das Klinikum Mittelbaden getan. An allen drei Standorten in Rastatt, Baden-Baden und Bühl sind verschiebbaren Operationen abgesagt worden, um die Kapazitäten zu bündeln. Ausgenommen davon sind Notfälle und dringliche Fälle wie Tumor-Operationen. „Die dritte Welle übertrifft an Heftigkeit leider alle bisherigen Corona-Wellen“, sagte der medizinische Geschäftsführer, Thomas Iber. Die Zahlen am Klinikum Mittelbaden liegen über denen von Ende Dezember, wie es in einer Mitteilung hieß. Auch in den RHK Häusern in Bretten und Bruchsal könnte bald der Fall eintreten, dass planbare Operationen verschoben werden müssten.
Doch die Mediziner beobachten noch einen weiteren Trend: denn die Patienten mit schweren Verläufen werden immer jünger. Selbst das Robert-Koch-Institut hatte bereits Mitte März vor einer Fehleinschätzung bei der Corona-Lage gewarnt. „Wir sehen das jetzt schon auf den Intensivstationen, dass sich die Patienten dort ändern: Die werden jünger“, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade. Wenn man das Infektionsgeschehen wegen der bisherigen Impfungen einfach laufen lassen würde, komme es zu einem Schwenk hin zu den jüngeren Jahrgängen bei den Todesfällen und Intensivpatienten, so Schaade. „Dann werden wir nämlich immer mehr auch junge Patienten auf den Intensivstationen haben. […] Die sind jetzt noch am allerwenigsten geschützt.“ Auch Virologen haben wiederholt vor einem solchen Szenario gewarnt.
Der Altersdurchschnitt der Intensivpatienten in der ersten und zweiten Welle lag jeweils bei 68 Jahren. Im Klinikum Ludwigshafen beispielsweise ist das Durchschnittsalter der Patienten inzwischen in der dritten Welle auf 58 gesunken – also um satte zehn Jahre. Fast alle Kliniken in der neue welle Region konnten diesen Trend auf Nachfrage bestätigen. Einige Klinikleiter wiesen darauf hin, dass es sich um ein bundesweites Phänomen handele und auf die Durchimpfung der Über-80- und Über-70-Jährigen zurückzuführen sei. Wir haben uns die Zahlen im Detail angeschaut:
Städtisches Klinikum in Karlsruhe
Bereits vor den Osterfeiertagen bestätigte der Geschäftsführer des Städtischen Klinikums in Karlsruhe, Michael Geißler, dass sich deutlich mehr jüngere Corona-Patienten auf den Intensivstationen befinden würden, als noch in der ersten und zweiten Welle. Das liege unter anderem an der neuen Virusvariante, die weitaus ansteckender sei. Dadurch würden jüngere Menschen effektiver infiziert und die Mutation führe zu mehr schwereren Verläufen. „Die jüngeren Menschen haben aber eine höhere Widerstandskraft. Wenn sie extrem schwer erkrankt sind, überleben sie häufiger, als sehr alte Menschen. Das bedeutet aber auch, dass sie länger auf den Intensivstationen liegen – ungefähr doppelt so lange im Schnitt. Und dadurch werden die Ressourcen, also die Bettenzahl, zusätzlich verknappt“, so Geißler im Interview mit der neuen welle.
ViDia Krankenhäuser in Karlsruhe und Rüppurr
Die ViDia Krankenhäuser in Karlsruhe konnten auf Nachfrage zwar keine konkreten Patientendaten mitteilen. Doch die Beobachtung ist auch für die ViDia Kliniken zutreffend, dass das Alter der schwerstkranken Covid-Patienten niedriger ist als in der ersten und in der zweiten Welle. Damit verbunden sei eine längere, zum Teil mehrwöchige Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation für Patienten, die eine sehr schwere beatmungspflichtige Lungenbeteiligung im Rahmen der Covid-19-Erkrankung entwickelten, ließ uns Pressesprecherin Melanie Barbei wissen.
SRH Klinikum in Karlsbad-Langensteinbach
Insgesamt werden in Karlsbad Stand Donnerstag 16 Covid-Patienten behandelt, davon sechs auf der Intensivstation, von denen wiederum vier Patienten beatmet werden müssen. Die Intensivstation ist damit voll ausgelastet – allerdings hält die Klinik immer noch ein „Notfall-Bett“ für akute Intensivpatienten bereit. Das Durchschnittsalter der zehn Patienten auf der Covid-Normalstation liegt derzeit bei 54,2 Jahren, auf der Intensivstation bei 72 Jahren. Aufgrund der noch sehr dünnen Datenlage für das Jahr 2021, konnte Pressesprecher Mischa Langer jedoch keinen nachweisbaren Trend nennen. Zu beobachten war jedoch in Karlsbad, dass auch hier der Anteil der Über-80-Jährigen auf der Intensivstation nachweislich zurück gegangen sei.
Helios Klinikum in Pforzheim
Das Durchschnittsalter der Corona-Patienten auf der Intensivstation im Helios Klinikum in Pforzheim liegt aktuell bei 56 Jahren und damit auch deutlich niedriger als in den ersten beiden Wellen. Stand Mittwoch befanden sich fünf Corona Patienten auf der Intensivstation, wie Pressesprecherin Silke Bentner mitteilte. Möglicherweise sind inzwischen weitere Patienten hinzu gekommen.
Regionale Kliniken Holding (RKH) in Bruchsal, Bretten und Mühlacker
Der Pressesprecher der RKH, Alexander Tsongas, konnte den Trend, dass die Corona-Patienten im Vergleich zu den ersten beiden Pandemiewellen nun in der dritten Welle deutlich jünger sind, ebenfalls bestätigen. In allen RKH Klinik-Standorten (Landkreis Ludwigsburg, Enzkreis, Landkreis Karlsruhe) befanden sich Stand Mittwoch 121 Covid-19-Patienten, 93 davon auf Covid-Normalstation, 28 auf einer Intensivstation. Der Altersdurchschnitt lag sogar bei etwas unter 55 Jahren. Aktuell müssen noch keine Operationen verschoben werden. Doch bei einem weiteren Anstieg könnte dies bald der Fall sein.
Im RKH Krankenhaus Mühlacker sind es insgesamt 9 Patienten, von denen 4 auf der Intensivstation liegen. In der Rechbergklinik Bretten insgesamt 18 Patienten, davon 15 auf der Covid-Normalstation und drei auf der Intensivstation. Das RKH Fürst-Stirum-Klinik in Bruchsal beherbergt insgesamt 23 Patienten, davon 18 auf der Covid-Normalstation und fünf auf der Intensivstation.
Kreiskliniken Calw-Nagold
Im Klinikverbund Südwest, dem auch die Kreiskliniken Calw – Nagold angehören, gab es Stand Mittwoch insgesamt 45 stationäre Covid-19-Patienten. Davon entfallen auf den Landkreis Böblingen 29 Patienten, auf die Kliniken in Calw und Nagold 16, davon drei auf der Intensivstation und zwei davon werden beatmet. Da es sich im Landkreis Calw aktuell „nur“ um drei Intensivpatienten handelt, konnte Pressesprecher Ingo Matheus hier noch keinen statistisch validierten Trend ableiten. Allerdings bestätigte er, dass die Kliniken unter Volllast laufen würden – die Intensivbetten seien zu 92 Prozent ausgelastet. Hiervon sind etwa ein Fünftel Corona-Patienten. Außerdem beobachtete Matheus einen Anstieg der Zahlen seit den Osterfeiertagen. Er wies jedoch darauf hin, dass die Patienten-Wellen in den Kliniken erfahrungsgemäß immer bis zu 14 Tage zeitversetzt ankämen, sprich die aktuell hohen Inzidenzen in der Bevölkerung würden die stationären Zahlen momentan noch gar nicht abbilden. Trotzdem müssten die Kliniken seit Wochen tagtäglich „auf Sicht fahren“.
Krankenhaus in Freudenstadt
Am Freitag befanden sich im Krankenhaus Freudenstadt vier Patienten auf der Corona-Intensivstation, alle vier mit schweren Verläufen und invasiver Beatmung, wie Pressesprecherin Cornelia Schreib auf unsere Anfrage bekanntgab. Das Durchschnittsalter dieser vier Patienten habe bei 65 Jahren gelegen. Es sei also auch im Krankenhaus Freudenstadt zu beobachten, dass das Durchschnittsalter sinke.
Askleopsis Südpfalzklinikum in Germersheim
Das Asklepios Südpfalzklinikum in Germersheim hatte Stand Mittwoch 18 Covid-Patienten zwischen 21 und 89 Jahren in stationärer Behandlung. Sechs Patienten liegen auf der Intensivstation und müssen beatmet werden. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 66 Jahre, das der beatmungspflichtigen Patienten beträgt 72,5 Jahre. Klinik-Geschäftsführer Frank Lambert konnte den Trend zu jüngeren Patienten in der dritten Welle ebenfalls bestätigen.
Klinikum Landau – Südliche Weinstraße
Aus Datenschutzgründen konnte das Klinikum Landau – Südliche Weinstraße unsere Anfrage nicht beantworten, wie die Referentin der Geschäftsführung, Martina Galow, schriftlich mitteilte.
Die Vinzentius Klinik in Landau, das Siloah St. Trudpert Klinikum in Pforzheim und das Klinikum Mittelbaden haben unsere Anfrage nicht beantwortet.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), die die Lage auf den Intensivstationen erfasst, kann einen Trend zu schweren Verläufen bei jüngeren Patienten aktuell noch nicht bestätigen. Pressesprecher Jochen Albrecht schrieb auf Anfrage der neuen welle: „Für die erste wie zweite Welle lag der Altersdurchschnitt deutschlandweit bei 68 Jahren. Für die dritte Welle gibt es noch keine vergleichbaren Daten für ganz Deutschland, sondern jeweils nur die Angaben einzelner Kliniken.“ Die DIVI könne daher noch nicht verlässlich für ganz Deutschland sagen, ob der Eindruck des sinkenden Altersdurchschnitts valide sei. „Da aber nach Rückmeldung aus einzelnen Häusern anscheinend kaum noch Patienten über 80 Jahre auf die Intensivstationen kommen, die vorher etwa 25 Prozent ausgemacht haben, muss statistisch gesehen der Altersdurchschnitt auf jeden Fall sinken“, so Albrecht weiter. Auch zu schwereren Verläufe bei jüngeren Patienten gebe es noch keine konkreten Daten, der wissenschaftliche Diskurs sei noch in vollem Gang.
Grund zur Panik liefern die Zahlen aus der neue welle Region aber keineswegs. Es ist nicht so, dass die Kliniken jetzt mit Kindern, Jugendlichen oder Studenten vollgestopft sind. Der Trend, der sich aktuell bei den meisten Kliniken in unserer Region erkennen lässt, bestätigt nur die Wirksamkeit der Impfungen. Viele der Über-80-Jährigen und auch schon ein Teil der Über-70-Jährigen sowie Pflegeheimbewohner sind bereits vollständig geimpft. Diese Altersgruppe ist daher in den Intensivstationen kaum noch zu sehen. Hinzu kommt, dass die jüngeren Patienten aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit eine deutlich längere Verweildauer auf den Intensivstationen haben, als alte und geschwächte Menschen.