Ölbronn-Dürrn (dpa/lk) – Steht ’ne Kuh an der Bushaltestelle – oder besser: geht an ihr vorbei. Wenn Sonja Keller aus Ölbronn-Dürrn mit ihrer Melina ausreitet, staunt so mancher Autofahrer. Denn Melina ist zwar groß und hat vier Beine – wiehert aber nicht.
Wenn Melina unterwegs mal muss, heißt das für Sonja Keller: Stelle merken und nacharbeiten. Denn die Kuhfladen nach einem Ausritt müssen vom Bürgersteig verschwinden. Richtig gelesen: Die 22-Jährige reitet regelmäßig auf einer Kuh durch Ölbronn-Dürrn im Enzkreis. Vorbei am Acker mit der Kirchturmspitze im Hintergrund, vorbei an der Bushaltestelle und am Ortseingangsschild Gemächlich trottet das neunjährige Fleckvieh mit seiner Reiterin auf dem Rücken voran. Die sagt: „Wir sind heute recht schnell unterwegs.“
Melina balanciert auf einem Streifen Grün zwischen Schotterweg und Gemüsebeet, nascht schon mal an einem Vorgarten und verweigert beim Foto-Termin den Blick in die Kamera. „Wenn mich Leute nach Tipps fragen, sage ich immer: Man muss den gleichen Dickkopf haben“, kommentiert Keller. Zu einem Ausritt kämen die Kühe aber meist gerne mit: „Die sehen dann ja auch mal was.“ Seit Melina zwei Jahre ist, reitet Keller auf ihr – wie auch auf drei weiteren Kühen. Einen richtigen Sattel nutzt sie nicht. Der würde nicht halten, weil Kühe anders als Pferde keinen richtigen Widerrist haben. Eine weiche Unterlage und ein paar Haltegriffe reichen aus. Auf dem Spatzenhof von Kellers Familie leben Dutzende Milchkühe. Als solche ist Melina nicht mehr im Einsatz. Ihre Tiere nutzt Keller neben den Ausritten auch für Fahrten mit der Kutsche – etwa bei Hochzeiten, Festumzügen und Junggesellenabschieden. Oder für „Kuhroulette“: Bei der Gaudi werden Felder ins Gras gezeichnet und die Spieler wetten, in welches der erste Fladen fällt.
Eine Attraktion ist das Duo ebenso bei seinen Ausritten – auch wenn es mehrere Reiter und Reiterinnen gibt, die vom Pferd aufs Rind umgesattelt haben. Allein in Baden-Württemberg kenne sie drei Frauen, die Kühe vor Kutschen spannen, erzählt Keller. „Draufsetzen machen noch viel mehr.“ Dennoch fährt manch Autofahrer in Schleichtempo einen großen Bogen um Melina. Einmal sei auch einer vor lauter Staunen und Hinterhergucken im Graben gelandet, erzählt Keller. Einige führen aber auch recht nah an dem Tier vorbei. „Mit einem Pferd würde ich mich nicht trauen, hierher zu reiten“, sagt sie während der Tour durch die Ortschaft. Pferde seien Fluchttiere. „Kühe sind da anders, die gucken sich erstmal alles an.“ Auch Motorrad- und Radfahrer beschwerten sich schon mal, wenn die Kuh den Verkehr aufhält oder den Radweg blockiert.
Und immer mal wieder sprächen Tierschützer sie an, sagt Keller. „Die fragen, was das soll. Oder sagen, eine Kuh sei nicht dafür gemacht.“ Nach Einschätzung der Fachreferenten beim Bundesverband Rind und Schwein dürfte aus gesundheitlicher Sicht nichts dagegen sprechen, Kühe zu reiten. „Die Tiere werden ja schon seit jeher als Zugtiere eingesetzt“, erläuterte eine Sprecherin. Aufgrund ihres Körperbaus seien sie jedoch nicht so agil wie Pferde. „Die Gangarten Schritt, Trab und Galopp haben Kühe auf jeden Fall auch.“ Von Galopp kann bei Melina an diesem Morgen keine Rede sein. Schlendern würde es wohl eher treffen. An Sommerabenden macht sie mehrmals die Woche kleinere Touren, erzählt Keller. Mit der Kutsche sind es schon mal mehrere Kilometer. Zur Belohnung gibt es frisches Gras auf einer anderen Wiese – oder Brot. „Das reicht ihr schon.“