Karlsruhe (dpa/svs) – Dass manche Hartz-IV-Empfänger in Baden-Württemberg wegen des 9-Euro-Tickets Geld zurückzahlen mussten, hat Kritik hervorgerufen. Die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Dorothea Kliche-Behnke, nannte das Vorgehen in den «Badischen Neuesten Nachrichten» (Freitag) «grotesk und gewissenlos». Der Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK, Hans-Josef Hotz, hält die rechtliche Situation demnach zwar für nachvollziehbar. Aus menschlicher Sicht solle man aber auf Rückforderungen verzichten, sagte er der Zeitung aus Karlsruhe.
Laut dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium geht es darum, dass für die Monate Juni bis August die Ausgaben für Schülerfahrkarten in den gewährten Grundsicherungsleistungen auf neun Euro reduziert werden. Bei den Verkehrsunternehmen kosteten diese in dieser Zeit nicht mehr den sonst üblichen, meist zweistelligen Preis. Und die Jobcenter übernehmen nur tatsächlich entstandene Ausgaben. Manche Jobcenter hätten das rechtzeitig umgestellt, sagte ein Sprecher in Stuttgart. In Einzelfällen sei für Juni noch der alte Betrag ausgezahlt worden. Dass zu viel gezahlte Mittel zurückgezahlt werden müssen, sei ein üblicher Verwaltungsvorgang.
«Ein finanzieller Schaden entsteht den Familien nicht», so der Sprecher. «Insbesondere für diese Kinder und Jugendlichen ist das 9-Euro-Ticket dennoch ein großer Gewinn, denn damit können deutlich weitere Strecken zurückgelegt werden als mit den Schülerfahrkarten.» Andere Menschen, die Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende erhalten, könnten sich von dem zur Verfügung gestellten pauschalen Betrag zur Sicherung des Lebensunterhalts bei Bedarf ein 9-Euro-Ticket kaufen. «Rückzahlungen aufgrund des 9-Euro-Tickets erfolgen hier nicht, da die Entscheidung über die tatsächliche Verwendung bei den Hilfeempfängern liegt.» Grundsätzlich profitierten die Menschen eher, da sie dank des günstigen Tickets sparen könnten.
Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hieß es der Zeitung zufolge, ein Verzicht auf die Rückforderung sei nicht nur sozialpolitisch sachgerecht, sondern lasse sich auch aus den Regelungen aus dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs herleiten. Durch die Rückforderungen entstehe den Jobcentern «erheblicher Verwaltungsaufwand, den die betroffenen Familien weder verursacht noch beabsichtigt haben». Man werde alle Landesministerien anschreiben, seine Rechtsauffassung klar darlegen und bitten, diese zu berücksichtigen, so das Ministerium.
Das Wirtschaftsministerium in Stuttgart entgegnete, die Bildungs- und Teilhabeleistungen für Schülerinnen und Schüler zusätzlich zu ihrem Grundsicherungsbedarf seien kommunale Leistungen, die der Rechtsaufsicht der Länder obliegen. «Insofern ist die Äußerung des Bundes, die dieser auch erst im Nachhinein getätigt hat, hier nicht maßgeblich», erklärte der Sprecher. Es sei daher nicht vorgesehen, die rechtlichen Hinweise an die Jobcenter abzuändern. Kritik kam auch aus dem Nachbarland Rheinland-Pfalz: «Ich bin der Auffassung, dass das 9-Euro-Ticket keinesfalls auf die Regelsätze der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende angerechnet werden sollte», sagte Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD). «Die Regelsätze sind angesichts der hohen Kosten für Energie, Lebensmittel und einer extrem dynamischen Inflation ohnehin zu gering bemessen.»