Region (lea) – „Tipp tipp tot“ steht auf einer riesigen Tafel am Straßenrand, halb verdeckt durch Bäume und Gestrüpp. Daneben ist ein blutverschmiertes, gesplittertes Handy abgebildet. Auf einem anderen Plakat ist „Marie (38), abgelenkt durch eine SMS“ zu lesen. Marie ist wohl gestorben, suggeriert das schwarze Kreuz über der nüchternen Nachricht. Jeder Autofahrer kennt sie – die Plakate an der Autobahn, die vor Handynutzung am Steuer warnen. Und trotzdem steigt die Zahl der Menschen, die am Steuer Textnachrichten lesen, kontinuierlich. Ein fataler Trend, findet Florian Rother von der Verkehrspolizei Karlsruhe.
Der Karlsruher Polizist Florian Rother fährt Streife auf der Autobahn. Immer wieder erlebt er Fahrer, die „nur mal kurz einen Blick aufs Handy werfen“ wollten. Offiziell zählt Handynutzung zur vierthäufigsten Unfallursache in Rothers Einzugsgebiet. „Das ist aber auch immer ein bisschen schwierig nachzuweisen, dass die Person durchs Handy abgelenkt war“, räumt er ein. In seinen Augen ist die Dunkelziffer der Fälle, die nicht in die Statistik einfließen, um einiges höher. Die Kategorie „Ablenkung“ wurde 2021 erstmals in die polizeiliche Unfallaufnahme integriert. Im gleichen Jahr starben laut Statistischem Bundesamt 117 Menschen, weil sie abgelenkt waren.
Die Irritation, die von dem kleinen Gerät ausgeht, werde oftmals noch unterschätzt, so Rother. „Wenn ein Kind in einer 30er- Zone aus einer Parklücke kommt und man bremsen muss, dann braucht es 38 Meter, bis man steht, wenn man dabei abgelenkt ist“, erklärt er. Ohne Handy in der Hand hätte der Bremsweg nur 13 Meter in Anspruch genommen. „Das entscheidet schon über Leben und Tod“, sagt der Polizist.
Eine im März veröffentlichte Studie der Allianz unterstreicht Rothers Beispiel. „Ablenkungen durch Bedienen moderner Techniken beim Autofahren erhöhen das Unfallrisiko um 50 Prozent“, heißt es darin. Der Anteil an Autofahrern, die das Smartphone während der Fahrt nutzen würden, sei zwischen 2016 und 2022 von 15 auf 24 Prozent gestiegen. Das ist eine Steigerung um zwei Drittel. Besonders ablenkungsgefährdet seien laut Allianz junge Erwachsene im Alter von 18 bis 24 Jahren. Rund jeder Dritte unter ihnen gibt an, während der Fahrt mit dem Smartphone in der Hand zu telefonieren.
Im schlimmsten Fall kostet die Smartphone Nutzung das Leben, im besten „nur“ Geld. „Allein die Bedienung des Handys kostet 100 Euro und einen Punkt“, führt Rother aus. „Wenn es dabei noch zu einer Gefährdung kommt, dann kostet das Ganze schon 150 Euro und zwei Punkte. Und weil es gesund ist, darf man dann noch einen Monat laufen.“ Unter „Gefährdung“ versteht man eine Situation, in der eine andere Person ausweichen oder stark abbremsen muss. „Und bei einer Sachbeschädigung“, so der Polizist weiter, „beträgt das Bußgeld dann schon 200 Euro.“
Aber wann genau „nutzt“ man ein Smartphone im rechtlichen Sinn? „Jedes Mal, wenn ich mein Handy in die Hand nehme, um damit was auch immer zu tun, ist der Tatbestand erfüllt“, klärt Rother auf. Dabei gehe es nicht nur ums Telefonieren, sondern um „die Nutzung eines elektronischen Gerätes, das zur Kommunikation, Information und Organisation dient“. Ein Handy als Navi nutzen, das geht. „Aber nur, wenn die gesamte Bedienung vor Fahrtantritt passiert und das Handy vorne hingeklemmt wurde“, räumt der Polizist ein.
Die Nutzung der Freisprecheinrichtung ist hingegen etwas komplizierter. Zumindest dann, wenn man kein Bußgeld kassieren möchte: „Das Problem ist, dass man zur Nutzung das Handy trotzdem nicht in die Hand nehmen darf“, so Rother. Daher müsse die Einrichtung über Sprachbedienung kontrollierbar sein. Auch Schaltflächen am Lenkrad sind zur Bedienung erlaubt.
Gleiches gilt für das Telefonieren mit dem im Handy integrierten Lautsprecher: „Wenn man das Telefonat während der Fahrt annimmt, dann erfüllt man den Tatbestand und muss zahlen.“ Rother empfiehlt, die Fahrt zu unterbrechen, das Telefonat zu starten und dann mit dem Lautsprecher verbunden weiterzufahren.
Ob die schockierenden Autobahnplakate Fahrer zum Umdenken bewegen, kann Rother aufgrund mangelnder Studien nicht bestätigen. Persönlich urteilt er: „Ich habe das Gefühl, wenn man an so einem Schild vorbeifährt und da sind dann entsprechende Bilder drauf, dann stutz man schon mal und wird abgeschreckt.“ Auch die moderne Technik der Autos kann Ablenkung bekämpfen. „Driver Monitoring“ – damit erkennt eine Software des Fahrzeugs durch Kameraüberwachung Ablenkung. Und kann dann davor warnen. In zahlreichen PKW ist diese Technik bereits eingebaut. Teilweise bereits seit zwei Jahrzehnten. Den Aufwärtstrend der Handynutzung am Steuer konnte sie noch nicht aufhalten. Aber die Entwicklung des Systems geht weiter. Damit es am Ende nicht heißt: „tipp, tipp, tot“.