Karlsruhe (dpa/jal) – Der vergleichsweise milde Winter mit seinen Wetterkapriolen bringt in der Natur einiges durcheinander. So manche Pflanze treibt schon Blüten, so mancher Winterschläfer wird früher aktiv. Das alarmiert Umwelt- wie Agrarexperten. Denn einige Lebewesen geraten durch die außergewöhnlichen Bedingungen in die Bredouille oder in Not. Andere können damit umgehen oder profitieren sogar.
Pflanzen wachsen in einem Rhythmus, der von der Witterung und vom Klima bestimmt wird. Ausschlaggebend sind nach Angaben der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) dabei Temperatur-, Strahlungs- und Niederschlagsverhältnisse über mehrere Wochen. Die Beobachtung der Experten: Generell blühen Pflanzen früher im Jahr als noch vor 30 Jahren. Je nach Art kann das mehr Generationen in einem Vegetationszeitraum mit sich bringen. Bei einem verfrühten Vegetationsbeginn sind Pflanzen aber empfindlicher bei späterem Frost, was wiederum eine Entwicklungsbremse sein kann. «Der Klimawandel ist für alle spürbar und hat weitreichende Auswirkungen auf den Garten-, Obst- und Weinbau sowie auf die Entwicklung unserer Wälder», sagt dazu Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU).
Nach Beobachtung des Naturschutzbundes Nabu bringt ein milder Winter auch die Tierwelt durcheinander. Winterschläfer wachen vorzeitig auf, der Zug-, Brut- und Fortpflanzungszyklus ändert sich. Wenn Blau- und Sumpfmeisen oder Kleiber früher brüten, ist das Nahrungsangebot noch begrenzt. Eine frühe Pflanzenblüte stimmt möglicherweise nicht mehr mit dem Flugzeitpunkt von Insekten überein. Wild- und Honigbienen sowie manche Hummel- und Schmetterlingsarten sind dem Nabu zufolge öfter schon im Januar aktiv und konkurrieren um das Blütenangebot. Fehlt Schnee, gibt es bei starkem Frost keinen Schutz für Pflanzen und Insekteneier. Ist es wärmer, droht Pilzbefall und Überwinterungsstadien von Insekten können verschimmeln, so die LUBW.
Wenn längere milde Phasen sich mit Kälteeinbrüchen abwechseln, haben Winterschläfer wie Igel oder manche Fledermäuse dem Nabu zufolge ein Problem. Sie verbrauchen beim Aufwachen viel Energie – angelegte Fettreserven reichen eventuell nicht mehr für das Überleben. Auch für schon wandernde Amphibien kann es gefährlich werden, wenn plötzlich die Kälte zurückkehrt: Sie können sich nicht mehr rechtzeitig eingraben und erfrieren, so der Umweltverband. Weil die Goldammer Kälte bevorzugt, zieht der Vogel bei ungewöhnlicher Wärme weiter. Die Folge laut Nabu: Der Bestand schrumpft, weil Rückzugsorte kleiner werden. Dumm kann es für Zugvögel wie Weißstorch, Nachtigall und Kuckuck laufen. Kommen sie zu spät aus dem Süden zurück, könnten die besten Brutplätze schon besetzt sein. Der Trauerschnäpper, der erst im April und Mai aus Afrika zurückkehrt, ist nach Beobachtung der Naturschützer schon jetzt im Ländle selten.
Viele Pflanzen orientieren sich an der Tageslänge, Insekten reagieren auf Temperatur. Deshalb können der LUBW zufolge zu früh erwachte Wildbienen verhungern. Imker wiederum müssen mit einem hohen Befall durch die Varroamilbe rechnen: Wenn Bienenvölker früh mit der Brutaufzucht beginnen, vermehrt sich auch der Schädling früh, so das Agrarministerium. Wetterkapriolen sind auch für Wildbienen nicht gut, weil Schlupfzeitpunkt und Blühphase bevorzugter Pflanzen nicht mehr passen.
Beim Spargel verhindern zu viele warme Wintertage einen kraftvollen Austrieb. Simon Schumacher, Geschäftsführer des Verbandes Süddeutscher Spargel- und Erdbeeranbauer, erwartet deshalb im Frühjahr einen verhaltenen Erntestart – aber super Qualitäten dank guter Wachstumsbedingungen im Sommer. Auch Getreide braucht längere Kälte, um zum Blühen angeregt zu werden. Ein vorzeitiges Erwachen der Natur macht Menschen ebenso zu schaffen: Heuschnupfler können schon unter Frühblühern wie Haselnuss leiden.
Für Landwirte kann ein warmer Winter von Vorteil sein – eine längere Vegetationsperiode kann mehr Ertrag bedeuten. Zitrusfrüchte und andere mediterrane Gewächse im Garten fühlen sich bei hohen Temperaturen ohnehin ausgesprochen wohl, auch der Feldsalat sprießt. Die Meisen pfeifen den Frühling schon von den Dächern. Da sie nicht in die Ferne schweifen, können sie sich die besten Nester sichern und früher mit der Balz beginnen. Damit steigt die Chance auf ein zweites Gelege, auch wenn das Angebot an Raupen noch mager ist. Vogelarten wie Bienenfresser, Girlitz und Wiedehopf haben ohnehin gute Karten. Sie profitieren laut Nabu von warmen Sommern und milden Wintern.
Ist es wärmer, gelingt es nach Angaben der LUBW auch mediterranen Insekten wie dem Taubenschwänzchen in Deutschland zu überwintern und im Frühjahr neue Generationen auszubilden. Wanderfalter wie der Admiral überwintern schon hier. Auch Honigbienen könnten den Experten des Agrarministeriums zufolge Gewinner sein: Kleinere Bienenvölker können schnell wachsen, so dass sie den Frühling erfolgreich überstehen und eine reiche Honigernte erzeugen. Frost darf dann nicht die Frühjahrsblüten töten – sonst hätte das wachsende Bienenvolk zu wenig Nahrung. Bei Wärme vermehren sich zudem Schädlinge wie die Varroamilbe, Blattläuse und Zecken. Was den Garten-, Obst- und Weinbau angeht, kann das Agrarministerium noch keine Prognose abgeben. Zumindest den Winzern gefällt das jetzige Wetter: «Das ist ideal zum Rebenschneiden», heißt es beim Badischen Weinbauverband.