Heidelberg (dpa/lk) – Mitten in der Vorlesung fallen Schüsse. Mit einem Gewehr soll ein Mann auf die Studierenden der Universität Heidelberg losgegangen sein. Ein Opfer überlebt die Schussverletzungen am Montag nicht, drei Menschen werden verletzt. Die Tat werde lange nachhallen, meinen Ermittler. „Da war Panik. Die Studierenden hatten Todesangst.“
„Der heutige Tag ist ein fürchterlicher für uns alle“, schreibt Heidelbergs Oberbürgermeister. Ein Amoklauf erschüttert die Stadt – eine junge Frau stirbt, drei Menschen sind verletzt. Kurz nach dem Amoklauf grenzen rot-weiße Absperrbänder auf dem riesigen Universitätsgelände den Tatort ab, die Polizei kontrolliert die Zufahrten. In der Luft ist ein Polizeihubschrauber, unweit kreuzt ein Patrouillenboot der Wasserschutzpolizei auf dem Fluss. Am rechten Ufer wirkt der Touristenmagnet Heidelberg, die weltberühmte Barockperle am Neckar, an diesem sonnigen Januartag wie im Ausnahmezustand.
„Den Ermittlungen zufolge ist der Täter kurz vor halb eins in den Hörsaal gekommen und hat um sich geschossen“, sagt ein Polizeisprecher. Die Einsatzkräfte seien durch einen Anruf alarmiert worden. „Der Täter ist geflüchtet und hat sich selbst gerichtet.“ Details lägen noch nicht vor – etwa, ob der Täter mögliche Hinweise auf das Verbrechen hinterlassen hat. Auf dem labyrinthartigen Gelände habe ein Spezialeinsatzkommando nach einem möglichen zweiten Täter gesucht, teilte die Polizei mit. Gegen 15.15 Uhr dann die Entwarnung: Der Mann sei ein Einzeltäter gewesen. „Derzeit ist keine Gefahrenlage mehr gegeben.“ Die Ermittler überprüfen nun „alle Hinwendungsorte“ – sprich: seine Wohnung. Welche Motive der Täter hatte, ob er legal Waffen besessen hat – all das kann die Polizei zunächst nicht beantworten. Nach dpa-Informationen aus Sicherheitskreisen war der Mann selbst Student. Er soll demnach keine politischen oder religiösen Motive gehabt haben.
„Wir sind unendlich schockiert. Das ist eine Katastrophe, die sich allem Denkbaren zwischen Vorlesungen, Klausuren und Unileben entzieht“, sagte Peter Abelmann, Vorsitzender der Verfassten Studierendenschaft. „Zuerst haben wir das gar nicht geglaubt, was da über Telegram und Whatsapp rein kam“, erzählt der 32-Jährige, der am benachbarten Campus Bergheim Soziologie, Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Doch die Helikopter in der Luft hätten dann keinen Zweifel gelassen – etwas Schlimmes war passiert. Einige Studenten seien nach Hause gegangen, andere wie er selbst seien wegen der unklaren Situation in den Räumen geblieben. Ohnehin seien die Busse nicht mehr gefahren.
Eine Mitarbeiterin des Uniklinikums war gerade auf dem Weg in die Mittagspause. „Eigentlich wollte ich nur kurz zum Bäcker, da sind mir schon richtig viele Streifenwagen entgegengekommen. Im Zehn-Sekunden-Takt. Da dachte ich mir, dass irgendwas passiert sein muss.“ In der Klinik sei eine Art Notfallprotokoll ausgelöst worden, alle Türen seien verriegelt worden. „So etwas im ruhigen Heidelberg“, sagt eine Frau, die am Nachmittag mit anderen Angestellten der Universität unweit der Polizisten steht. „Man kennt das ja nur aus dem Fernsehen.“ Ihre Begleiterin schüttelt den Kopf. „Erst vor ein paar Jahren ist ein Mann hier in Heidelberg mit dem Auto Amok gefahren und hat einen Mann getötet“, sagt sie. „Alle waren schockiert. Das hier ist genauso schlimm.“
Fassungslosigkeit auch bei Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner. „Der heutige Tag ist ein fürchterlicher für uns alle“, schreibt der parteilose Politiker auf Facebook. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer besuchte am Nachmittag den Tatort. „Ich bin entsetzt. Es lässt einen sprachlos zurück, wenn unschuldige junge Menschen im Hochschulbetrieb so etwas erleben müssen.“ Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich nach dem Amoklauf in Heidelberg tief erschüttert gezeigt. „Es zerreißt mir das Herz, solch eine Nachricht zu erfahren“, sagte der SPD-Politiker nach einer Konferenz mit den Ministerpräsidenten in Berlin. Er sprach den Angehörigen, den Opfern und den Studierenden der Universität Heidelberg sein Beileid aus.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat den Opfern ebenfalls sein Beileid ausgedrückt. „Die Nachrichten aus Heidelberg machen mich zutiefst betroffen. Meine Gedanken sind bei den Familien und ihren Angehörigen. Wir sind an Ihrer Seite“, teilte der Grünen-Politiker am Montagabend mit. Er hoffe inständig, dass die Verletzten wieder gesund würden. Er dankte Einsatz- und Rettungskräften für ihre Arbeit. „Unsere Polizei ermittelt unter Hochdruck und tut alles dafür, um die Hintergründe der Tat schnell aufzuklären.“
Innenminister Thomas Strobl sagte: „Für die Verletzten und die Beteiligten, auch die im Tutorium dabei waren, hoffe ich auf baldige Genesung an Leib und Seele.“ Es sei eine „entsetzlich belastende Situation“. Er fügte hinzu: „Die Wissenschaft weltweit, wir alle hier in Baden-Württemberg und darüber hinaus sind in Gedanken bei den Opfern und denen, die das Geschehene heute miterleben, verarbeiten und bewältigen mussten und müssen.“ Die Einsatzkräfte seien schnell am Tatort gewesen und hätten die zunächst unübersichtliche Lage mit der Uni-Leitung zusammen schnell klären können. „Nun ist die Zeit der Ermittler, denn für uns alle ist es wichtig, die Hintergründe für die schreckliche Tat so schnell als möglich aufzuklären.“
Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger hat sich nach Angaben der Diözese „schockiert“ vom Amoklauf an der Heidelberger Universität gezeigt. „Fassungslos blicken wir in der ganzen Erzdiözese Freiburg nach Heidelberg. Ich bin entsetzt und zutiefst bestürzt über den Angriff, der sich dort heute Nachmittag in einem Hörsaal der Universität ereignet hat“, sagte Burger am Montag einer Mitteilung zufolge. Er sei im Gebet bei den Opfern und ihren Angehörigen und danke den Rettungskräften für ihren Einsatz. Die Stadt Heidelberg liegt im Erzbistum Freiburg. „Die Tat muss jetzt schnell aufgeklärt werden“, forderte Burger. „Gewalt und Blutvergießen können niemals ein Weg sein, für was auch immer.“ Eine Seelsorgerin sei gerufen worden, um Studierende – insbesondere die Verletzten – zu betreuen.