Brüssel/ Berlin (dpa/as) Die einen freut’s, die anderen haben Bedenken, dass es der Wirtschaft schadet: Arbeitgeber sollen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Das stößt auf unterschiedliche Reaktionen. Gewerkschaften jubeln, Arbeitgeber schreien empört auf.
Minutengenaue Abrechnung von tatsächlichen Arbeitszeiten – das verlangt der Europäische Gerichtshof von allen Mitgliedsstaaten. Quasi eine Stechuhr für alle Betriebe. Das soll die im EU-Recht zugesicherten Arbeitnehmerrechte garantieren. Das betrifft die Einhaltung von Höchstarbeitszeitgrenzen und Ruhezeiten, die ein Grundrecht in der Europäischen Union sind. Das beinhaltet auch die regelmäßige Überprüfung, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten werden. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Beschäftigte pro Woche maximal 48 Stunden arbeiten und täglich elf Stunden Ruhezeit am Stück bekommen. Auch Heimarbeit bzw. Homeoffice oder Außendienst müssen künftig registriert werden. Voraussetzung ist, dass auch festgeschrieben ist, wie viele Stunden der Arbeitnehmer leisten muss. Oftmals steht bislang in vielen Arbeitsverträgen, dass Mehrarbeit mit dem Gehalt abgegolten ist.
In Deutschland gab es bisher nur in einzelnen Branchen eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Experten erwarten, dass durch das neue Urteil vor allem der Arbeitsalltag von Menschen verändert, die rund um die Uhr beruflich erreichbar sein sollen. Viele Arbeitnehmer profitieren davon durch geregeltere Freizeiten und finanziellen Ausgleich. Zum Beispiel Ärzte an Krankenhäusern, die erst jüngst für bessere Arbeitszeitmodelle demonstriert haben. Andere Beschäftigte hingegen fühlen sich aber auch in ihrer Flexibilität und Eigenverantwortung eingeschränkt oder befürchten, das Arbeitspensum nicht zu schaffen.
Arbeitgeber laufen Sturm gegen die Entscheidung: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nennt das eine generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert, aber auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 könne man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt das Urteil: „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so“, sagte Annelie Buntenbach aus dem DGB-Bundesvorstand.