Karlsruhe/Stuttgart (pm/lk) – Vor den nächsten Beratungen von Bund und Ländern in der kommenden Woche zu weiteren Corona-Lockerungen dringen die Händler in Baden-Württemberg auf eine verlässliche Öffnungsstrategie für den Einzelhandel. Die Innenstädte leiden aktuell unter dem wochenlangen Lockdown mit der Schließung etwa der Gastronomie und vieler Geschäfte. Der Lockdown war zuletzt noch einmal bis zum 7. März verlängert worden. Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten wollen am 3. März beraten, wie es weitergeht.
„Die Lage ist dramatisch und wird täglich dramatischer“, klagte die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes, Sabine Hagmann, am Mittwoch. Ware im Einzelhandel, beispielsweise in Modegeschäften, wird monatelang im Voraus bestellt. Die Kaufverträge sind bindend. Verbandspräsident Hermann Hutter sagte, die Händler müssten jetzt wissen, ob sie Ware einkaufen könnten und für welche Saison sie Ware einkaufen könnten. „Es ist für uns eine untragbare Situation“, kritisierte er. Zwar habe man inzwischen Entschädigungen bekommen – aber zu wenig und zu spät. „Was wir brauchen, ist eine klare Perspektive“, sagte Hutter. „Wir müssen für die künftige Entwicklung der Pandemie gewappnet sein“, so Hutter, „denn das Virus wird uns noch eine Weile begleiten.“
Der Verband fordert, dass die Öffnungsstrategie nicht weiter von einzelnen Faktoren abhängen könne. Stattdessen sollten ganzheitliche Betrachtungsweisen angewendet werden. Daher plädiert der Verband eine belastbare Strategie für das Leben mit dem Virus zu etablieren, insbesondere Test-, Impf- und Nachverfolgungsstrategie sowie die sofortige Öffnung der Geschäfte unter vertretbaren und wirksamen Hygienekonzepten. Der Handel sei auch für Sozialkontakte wichtig, die der Psyche und dem Wohlbefinden helfen könnten. Falle dies durch geschlossene Geschäfte weg fiele, würden sich die Menschen im Privaten treffen oder unter zunehmenden psychischen Belastungen leiden.
Petra Lorenz, Inhaberin der Lederwarengeschäfte Gepäckraum und Taschenreich in Karlsruhe und Durlach sowie Präsidentin des Handelsverbands Nordbaden glaubte lange Zeit, die Baustellen in der Karlsruher Innenstadt seien das Schlimmste, was ihr als Unternehmerin passieren konnte. Doch Corona habe sie eines Besseren belehrt, „nämlich dass man ein absolutes Berufsverbot bekommt. Und noch dazu eine staatlich angeordnete Wettbewerbsverzerrung“, so Lorenz. Sie fordert eine verlässliche Zukunftsstrategie: „Wie kann der Einzelhandel auch in Zukunft geöffnet bleiben, sollten neue Pandemien auftreten. Dafür braucht es verlässliche Konzepte seitens der Politik. Und dafür brauchen wir Entschädigungen! Denn wir stationären Händler sind systemrelevant für unsere Innenstädte und unsere Gesellschaft.“ Einen dritten Lockdown gelte es zu verhindern.
Man habe den Eindruck, für eine „Wir bleiben zu Hause!“-Symbolik herhalten zu müssen, kritisierte Modehändler Friedrich Kolesch aus Biberach an der Riß. Die Lage sei existenziell. Seine Angestellten seien jetzt seit einem Jahr in Kurzarbeit. Die Umsatzeinbußen durch die Schließung auf anderen Wegen ausgleichen zu können, sei illusorisch. Mit Abholangeboten oder Online-Verkauf mache er etwa 15 Prozent seines üblichen Umsatzes – „aber mit extrem hohem Aufwand“. Kolesch führte auch an, dass Lebensmittelgeschäfte und Drogeriemärkte bereits geöffnet seien und die Hygienekonzepte dort erfolgreich funktionierten. „Warum müssen dann aber andere Händler mit viel geringeren Frequenzen und viel geringeren Besucherdichten im Laden geschlossen haben? Wir brauchen endlich eine Perspektive – auch im Sinne der Gerechtigkeit!“
Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut fordert von Bund und Ländern kommende Woche eine Festlegung auf ein transparentes Corona-Regelwerk, unter welchen Voraussetzungen Einzelhändler in der Breite wieder öffnen dürfen. „Wir brauchen ein verlässliches und dem Infektionsgeschehen angemessenes Öffnungskonzept für alle Branchen“, sagte die CDU-Politikerin. „Die Ministerpräsidentenkonferenz muss am kommenden Mittwoch festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Handel wann wieder öffnen darf.“ Hoffmeister-Kraut sagte, der Impffortschritt, die zur Verfügung stehenden Hygienekonzepte und die immer besseren Testmöglichkeiten ließen eine klare Öffnungsperspektive inzwischen zu. Allerdings dürfe ein solches Konzept nicht allein von Sieben-Tage-Inzidenzen abhängig sein, sondern müsse auch andere Kriterien einbeziehen. Die Südwest-Wirtschaftsministerin betonte, sie wolle sich auch auf Landesebene „mit aller Kraft“ für ein solches Konzept stark machen.