Stuttgart (dpa/svs) – Bei keiner Wahl haben die Menschen in Baden-Württemberg so viele Stimmen zu verteilen wie bei der Kommunalwahl am 9. Juni. Auf sie kommt eine wahre Flut an Kreuzchen zu: In einigen Städten sind es mehr als 60 Stimmen, die jeder Wähler und jede Wählerin vergeben darf. Die Wahl gilt auch deswegen als eine der kompliziertesten überhaupt. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Kommunalwahlen im Südwesten
Bei der Kommunalwahl werden alle fünf Jahre die Gemeinderäte in 1101 Städten und Gemeinden, die Kreisräte in den 35 Landkreisen sowie die Ortschaftsräte gewählt. Zudem stimmen die Bürger in der Region Stuttgart über die Mitglieder der Regionalversammlung ab. Nicht gewählt werden dagegen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Land. Deren Amtsperiode beträgt im Gegensatz zu den Gemeinderäten acht Jahre.
Wahlberechtigt sind bei der Kommunalwahl einer Schätzung des Statistischen Landesamts zufolge rund 8,6 Millionen Menschen ab 16 Jahren in Baden-Württemberg. Bei den Wahlen zum Gemeinderat, zum Kreistag und zum Ortschaftsrat dürfen auch Bürger anderer EU-Staaten mitwählen, die seit mindestens drei Monaten ihre Hauptwohnung in der entsprechenden Gemeinde haben – nicht jedoch bei der Wahl zur Regionalversammlung Stuttgart.
Für die Wahl aufstellen lassen konnte sich in diesem Jahr erstmals jeder, der auch wählen darf. Neu ist in diesem Jahr, dass auch Menschen zwischen 16 und 18 Jahren für die Gremien kandidieren können. Das hatte der Landtag im vergangenen Jahr beschlossen. Das wird als aktives Wahlrecht bezeichnet. Zuvor konnten Jugendliche ab 16 bei den Kommunalwahlen nur ihre Stimme abgeben. Selbst kandidieren durften sie bislang aber nicht (passives Wahlrecht). Mit dem neuen Wahlrecht betritt Baden-Württemberg bundesweit Neuland. Ziel ist es unter anderem, jüngere Menschen für die politische Arbeit zu motivieren.
Das ist überall unterschiedlich. Während in größeren Städten fast immer auch die bekannten Parteien mit Wahllisten für die kommunalen Gremien antreten, gibt es in kleineren Städten und Gemeinden häufig keine Parteilisten. Dort sind traditionell die Wählervereinigungen besonders stark.
Die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg gelten mit als die kompliziertesten bundesweit. Sowohl bei den Gemeinderatswahlen als auch bei den Kreistagswahlen dürfen die Wähler kumulieren, sprich: einem Kandidaten bis zu drei Stimmen geben und damit die Reihenfolge auf der Liste der Partei verändern. Auch dürfen sie panaschieren, sprich: ihre Stimmen auf verschiedene Listen verteilen. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Gibt es in einer Gemeinde nur eine oder gar keine Wahlliste, können die Wählerinnen und Wähler laut Landeszentrale für politische Bildung nicht kumulieren.
Wählerinnen und Wähler müssen darauf achten, dass sie die Zahl der maximal zu vergebenden Stimmen nicht überschreiten, sonst ist der Stimmzettel nicht gültig. Je nach Größe der Gemeinde haben die Wähler unterschiedlich viele Stimmen zu verteilen. Bei den Gemeinderatswahlen haben sie so viele Stimmen, wie Gemeinderätinnen und Gemeinderäte zu wählen sind. In kleinen Gemeinden sind das mindestens acht, in größeren Städten bis zu 60. Immerhin: Die komplizierte Verteilung der Kreuzchen können Bürgerinnen und Bürger auch in Ruhe daheim machen. Auch bei den Kommunalwahlen kann wie bei allen anderen Wahlen per Briefwahl abgestimmt werden.
Weil die Wahlen so kompliziert sind, dürfte es teils mehrere Tage dauern, bis die endgültigen Ergebnisse der Kommunalwahl vorliegen. In den größeren Städten im Land wird mit der Auszählung der Wahl erst am Montag danach begonnen – am Sonntag sind die Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zunächst mit der Auszählung der zeitgleich stattfindenden Europawahl beschäftigt. So rechnet die Stadt Stuttgart etwa am Montagnachmittag mit ersten Zwischenergebnissen. Auch in Freiburg rechnet man montagnachmittags mit einer ersten Tendenz. In Karlsruhe, Heilbronn und Ulm rechnen die Stadtverwaltungen erst für Montagabend mit einem Ergebnis der Gemeinderatswahl. In einigen Gemeinden können Bürgerinnen und Bürger die Zwischenstände während der Auszählung auch im Internet verfolgen.
In den Gemeinderäten errangen bei der vergangenen Wahl im Jahr 2019 Wählervereinigungen die meisten Stimmen. Sie erhielten 39,1 Prozent. Auf dem zweiten Platz landete mit 22,8 Prozent die CDU, gefolgt von der SPD mit 13,4 Prozent und den Grünen mit 12,9 Prozent. Besonders gut schneiden die Wählervereinigungen dem Statistischen Landesamt zufolge in den kleineren Gemeinden ab. In Orten unter 1000 Einwohnern erhielten sie mehr als 93 Prozent der Stimmen. Dort stellen die Parteien häufig keine eigenen Listen auf.
Als Barometer für die politische Stimmungslage im Land ist die Kommunalwahl nicht geeignet. Es geht um die Politik vor Ort, Parteipolitik und politische Großwetterlage sind Nebensache. Kommunalwahl ist auch immer eine Persönlichkeitswahl. Im Südwesten sind die freien Wählervereinigungen traditionell auf kommunaler Ebene sehr stark – auf Landesebene spielen sie hingegen so gut wie keine Rolle.
Der Gemeinderat ist die Volksvertretung in einer Gemeinde. Er beschließt Gesetze, kontrolliert den Bürgermeister und die Verwaltung und stellt den Haushaltsplan auf. Gemeinderäte machen ihren Job ehrenamtlich, sie erhalten aber eine Aufwandsentschädigung. Die Themen des Gemeinderats liegen sozusagen auf der Straße. Die Gemeinde bestimmt etwa darüber, wie oft Busse fahren, wie teuer der Besuch im Hallenbad ist oder wo neue Häuser gebaut und welche Schulen saniert werden. Wo wird der Fahrradweg gebaut? Welches Baugebiet wird ausgewiesen? Wo verläuft die Buslinie? Auch die Kindergärten werden meist von den Gemeinden betrieben. Die Entscheidungen sind für Bürger mitunter also sehr viel spürbarer als die Gesetze aus Berlin.