Region (pm/mt) – Supermarktkasse statt Biertheke: Während der Corona-Zeit haben Hotels und Gaststätten in der Region einen erheblichen Teil ihres Personals verloren. Deswegen fehlt einem Großteil der Betriebe gerade in der Sommersaison die Mitarbeiter, um Gäste bewirten zu können.
Innerhalb des vergangenen Jahres haben in Karlsruhe rund 1.700 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte dem Gastgewerbe den Rücken gekehrt – das ist jeder fünfte Beschäftigte der Branche, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) unter Berufung auf jüngste Zahlen der Arbeitsagentur mitteilt. Außerdem hat jeder fünfte Beschäftigte in Pforzheim das Gastgewerbe verlassen. Das sind insgesamt rund 500 Mitarbeitende. Eine dramatische Abwanderung der Fachkräfte hat es auch im Landkreis Karlsruhe gegeben. Das betrifft rund 1.000 Köche, Servicekräfte und Hotelangestellte im Gastgewerbe. Dasselbe gilt in Landau. Dort sind rund 300 Beschäftigte abgewandert, das ist fast jeder vierte.
Angesichts weiterer Lockdowns bis in den Mai hinein dürfte sich der Personal-Schwund bis heute nochmals zugespitzt haben, befürchtet Elwis Capece, Geschäftsführer der NGG-Region Mittelbaden-Nordschwarzwald. „Viele Menschen schätzen es, nach langen Entbehrungen endlich wieder essen zu gehen oder zu reisen. Aber ausgerechnet in der Sommersaison fehlt einem Großteil der Betriebe schlicht das Personal, um die Gäste bewirten zu können“, so Capece. Für die Lage macht der Gewerkschafter insbesondere die Einkommenseinbußen durch die Kurzarbeit verantwortlich: „Gastro- und Hotel-Beschäftigte arbeiten sowieso meist zu geringen Löhnen. Wenn es dann nur noch das deutlich niedrigere Kurzarbeitergeld gibt, wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen.“
Wenn die gut ausgebildeten Fachkräfte in Anwalts- oder Arztpraxen die Büroorganisation übernehmen oder in Supermärkten zwei Euro mehr pro Stunde verdienen als in Hotels und Gaststätten, dürfe es niemanden überraschen, dass sich die Menschen neu orientierten. „Schon vor Corona stand das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen. Unbezahlte Überstunden, ein rauer Umgangston und eine hohe Abbruchquote unter Azubis sind nur einige strukturelle Probleme. Die Unternehmen haben es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Das rächt sich jetzt“, kritisiert Capece.
Wirte und Hoteliers hätten nun die Chance, die Branche neu aufzustellen. Zwar seien viele Firmen nach wie vor schwer durch die Pandemie getroffen. Doch wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar, unterstreicht Capece: „Am Ende geht es um einen Kulturwandel. Auch Servicekräfte haben ein Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist. Sie haben Anspruch auf eine anständige Bezahlung – unabhängig vom Trinkgeld. Und auf eine faire Behandlung durch den Chef.“ Gastronomen, die das Mittagessen so günstig anböten, dass sie davon das Personal nicht mehr bezahlen könnten, machten ohnehin grundsätzlich etwas falsch. „Viele Gäste sind durchaus bereit, ein paar Cent mehr für die Tasse Kaffee zu bezahlen – gerade jetzt, wo den Menschen bewusst geworden ist, dass der Besuch im Stammlokal ein entscheidendes Stück Lebensqualität ist“, so Capece.
Die Gewerkschaft NGG verweist zudem auf die umfassenden Finanzhilfen des Staates für angeschlagene Betriebe. So können sich Hotels und Gaststätten im Rahmen der Überbrückungshilfen in diesem Monat bis zu 60 Prozent der Personalkosten bezuschussen lassen, wenn sie Angestellte aus der Kurzarbeit zurückholen (Restart-Prämie). „Klar ist: Köchinnen, Kellner & Co. freuen sich darauf, endlich wieder Gäste empfangen zu können. Viele arbeiten mit großer Leidenschaft im Service. Auf diese Motivation können die Betriebe bauen – und sollten das Personal nicht erneut durch prekäre Löhne und schlechte Arbeitszeiten verprellen“, so Capece weiter. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit beschäftigte das Hotel- und Gaststättengewerbe in Pforzheim zum Jahreswechsel 1.830 Menschen. Genau ein Jahr zuvor – vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie – waren es noch 2.293. Damit haben innerhalb von zwölf Monaten 20 Prozent der Beschäftigten die Branche verlassen.