Karlsruhe (lea) – Unter Cybermobbing oder auch „Cyberbullying“ versteht man Beleidigungen, Bedrohungen oder Bloßstellungen im virtuellen Raum mithilfe von Webseiten, Chats, Foren und Communities. Die Karlsruher Studie „Cyberlife III“ des Bündnisses gegen Cybermobbing enthält alarmierende Neuigkeiten: Die Zahl der Schüler, die von Mobbing im Internet betroffen sind, ist drastisch gestiegen. Verstärkt wurde das Problem durch die Coronapandemie. Denn vor allem während der Lockdowns verlagerten sich die Sozialkontakte vermehrt ins Internet. Im Vergleich zu 2017 ist die Zahl der Cybermobbing-Opfer um 36 Prozent angestiegen.
„Jugendliche in der Pubertät, so zwischen 12 und 16 Jahren sind besonders betroffen. Während dieser Zeit orientieren Kinder ihre Identität neu, sie koppeln sich auch ein bisschen vom Elternhaus ab. Und dadurch fühlen sie sich in manchen Lebenssituationen ein bisschen alleingelassen“, erklärt Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender Bündnis gegen Cybermobbing. Im Vergleich zu 2017 ist die Zahl der Cybermobbing-Opfer um 36 Prozent angestiegen. Corona und das Homeschooling haben das Problem verschärft. Denn vor allem während der Lockdowns verlagerten sich die Sozialkontakte vermehrt ins Internet. Zwei Millionen Kinder im Schulalter sind allein in Deutschland Opfer von Mobbing im Internet.
„Die Tränen, die im Internet geweint werden, sieht man nicht. Wenn Sie einen Menschen auf der Straße treten, dann weint der. Das führt beim Täter vielleicht dazu, dass er aufhört. So etwas gibt es im Internet nicht“, erläutert Leest. Das Internet und die damit verbundene Anonymität fördert Gewaltbereitschaft. Das ist aber nur eines von zahlreichen Problemen, die mit Cybermobbing einhergehen. „Im Internet gibt es kein Machtungleichgewicht mehr. Beim „normalen“ Mobbing“ mobben die Großen die Kleinen, die Gruppe mobbt den Einzelnen“, führt Leest aus. Aber dieses Machtungleichgewicht hebt sich im virtuellen Raum, beim Cybermobbing, auf. Jeder kann jeden mobben. „Vor allem, weil das Tätersein nicht sanktioniert wird, lernen Opfer: Ich muss jetzt zurückschlagen.“
Cybermobbing ist kein Kavaliersdelikt. Trotzdem ist es in Deutschland derzeit so, dass „die Täter einfach bei Rot über die Straße laufen können, ohne bestraft zu werden“, so Uwe Leest. „Leider ist es so, dass wir in Deutschland kein Cybermobbing-Gesetz haben.“ Daneben bräuchte es mehr Kapazitäten, um solche Straftaten überhaupt verfolgen zu können. „Es fehlt an Polizei, Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Richtern, die sich diesen Fällen annehmen“, kritisiert der Experte. Es mangele nicht an der Sensibilität der Gesellschaft, sondern an Taten. Daneben fordert das Bündnis gegen Cybermobbing die Einführung von Klarnamen. „Wenn man sieht, wer hinter dem Mobbing steht, dann wird der Täter sich überlegen, ob er beleidigt, belästigt und bedroht“, erklärt Leest. Ohne die Etablierung solcher Regulationen, entwickle das Problem Cybermobbing eine zu große Dynamik. „Wir haben seit 30 Jahren das Internet und wir haben immer noch Verhaltensweisen, als wären wir im wilden Westen“, prangert der Experte an.
„Genauso, wie wenn Sie Ihre Kinder früher auf den Spielplatz begleitet haben. Und Ihre Kinder haben da gespielt, dann ist mal ein Kind von der Schaukel gefallen und man sieht: da ist eine Gefahr“, veranschaulicht Leest. Ungefähr mit acht Jahren müsse man die Kinder an die Hand nehmen und sich mit ihnen auf den Weg ins Internet machen. „Sensibilisierung und Prävention sind ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg.“ Warum unbedingt mit acht Jahren? „Wir haben festgestellt, dass die Kinder immer früher ein Smartphone in der Hand halten.“ Da müsse man früh ansetzen, so Leest.
„Das erkennt man, wenn man sein Kind genau beobachtet“, erklärt der Experte. Oft fange es damit an, dass das Kind krank ist. Bauchschmerzen und Übelkeit seien häufige Symptome. „Manchmal legen die Betroffenen ihr Smartphone beiseite, um Distanz zwischen der Quelle der Beleidigungen und sich zu schaffen.“ Typisch sei auch, dass das Kind bestimmte Freunde oder Orte meide, weil es denke, dass seine Peiniger sich dort befinden könnten. Des Weiteren bemerkten Eltern oft Schlafmangel und Nervosität. Denn Cybermobbing hört nie auf, selbst nachts werden Beleidigungen und Bedrohungen versendet und auch gelesen.
Aus Hilflosigkeit werden viele Opfern zu Tätern, indem sie auf Gemeinheiten im Internet mit Gegenattacken reagieren. „Hier ist es ganz wichtig, präventiv tätig zu werden“, hebt Uwe Leest hervor. In diesem Zusammenhang werde bis jetzt noch zu wenig getan. Schulische Prävention gegen Cybermobbing werde von den Schülern kaum wahrgenommen, heißt es in der Studie des Bündnisses. „Wir gehen in Schulen, reden mit Eltern und Jugendlichen. Man muss allen vor Augen führen, was sie eigentlich auslösen durch das Mobben“, erzählt der Experte.