Region (lea) – Sie helfen beim Umsteigen von einem Zug auf den anderen, in Lebenskrisen oder beim Verlust eines Geldbeutels – das Angebot der Bahnhofsmissionen ist so vielfältig wie die Menschen, die es annehmen. Und im vergangenen Jahr war es zudem gefragter wie nie zuvor. Unter anderem der Angriffskrieg in der Ukraine und gestiegene Lebenshaltungskosten animierten 167.000 Menschen dazu, sich Hilfe bei den Ehrenamtlichen zu suchen. „In Baden haben wir Rekordzahlen zu vermelden“, betont Felix Hechtel vom Diakonischen Werk der Evangelischen Landeskirche.
Die Bahnhofsmissionen der Region verzeichnen eine deutliche Zunahme der Nachfragen. „In Baden haben wir Rekordzahlen zu vermelden“, betont Felix Hechtel vom Diakonischen Werk der Evangelischen Landeskirche. Er ordnet ein: „Wir haben 167.000 Personen im Jahr 2022 geholfen. Das sind 70 Prozent mehr als zu Spitzenzeiten.“ Hechtel führt die gestiegenen Zahlen primär auf die Geflüchteten aus der Ukraine zurück. Die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs hätten sich bereits kurz nach dessen Ausbruch in der Arbeit der Bahnhofsmissionen niedergeschlagen.
Und auch die Einführung des 9-Euro-Tickets im Juni des vergangenen Jahres hat Spuren hinterlassen: „Immer mehr Menschen waren unterwegs. Und damit waren es auch mehr Menschen, die an den Bahnhöfen Hilfe gebraucht haben“, so Hechtel. Beispielsweise beim Umsteigen. Zuletzt seien die gestiegenen Preise von Nahrung und Heizen für viele Personen Auslöser gewesen, sich bei der Bahnhofsmission Unterstützung und Rat zu suchen.
Kurz um: Das vergangene Jahr war fordernd für die Bahnhofsmissionen. Umso stolzer ist Hechtel, „dass wir das so gut gemeistert haben.“ Es sei ein Glück gewesen, dass sich gerade im Februar so viele Menschen bereit erklärt hätten, spontan mitzuhelfen. Man gehe davon aus, dass das Jahr 2023 ein bisschen ruhiger verlaufe, so der Abteilungsleiter der Diakonie Baden weiter: „Trotzdem ist und bleibt jetzt der gestiegene Andrang eine große Herausforderung.“
In Zeiten wachsender Hürden wünscht sich Hechtel umso mehr eine Beteiligung der Städte an den Kosten der Bahnhofsmissionen. Beispielsweise von der Stadt Karlsruhe: „Sehr viel wird bei uns aus Eigenmitteln getragen und wir bekommen auch Geld von der Diakonie oder der Caritas. Aber eine Beteiligung an den Sachkosten und an den Kosten für die Ehrenamtlichen – das wäre schön.“
1894 wurde in Berlin die erste Bahnhofsmission Deutschlands gegründet. „Zu Zeiten der Industrialisierung ging es hauptsächlich darum, dass die Frauen, die arbeiten gingen, vor Ausbeutung geschützt werden sollten“, erklärt die Leiterin der Karlsruher Bahnhofsmission, Sabine Höhn. Heute ist die Mission erste Anlaufstelle für kleine und große Probleme. Ob auf Reisen, bei akuten Nöten oder in existenziellen Notlagen, die Türen der Mission sind für alle geöffnet. „Wir sind Anlaufstelle für niederschwellige Hilfen“, führt Höhn aus: „Zum Beispiel, wenn man den Geldbeutel geklaut hat und sich erst mal wieder sammeln möchte.“ In geschütztem Raum können Hilfesuchende Kaffee trinken, zur Ruhe kommen und neue Kraft tanken.
Ein Ereignis ist Höhn bei ihrer Arbeit besonders im Gedächtnis geblieben: „Es kam mal ein sehr junges Mädchen zu uns, sie war noch nicht volljährig. Sie war orientierungslos und musste eine neue Entscheidung treffen. Und in unseren Räumen hat sie sich dann Zeit genommen und sich sehr wohl gefühlt. Aufgrund unserer Krisenbegleitung konnte sie entscheiden, dass sie zurück geht in ihr Heim und noch mal neu startet.“ Diese Momente seien motivierend für alle Ehrenamtlichen. Es treibt sie an, weiterzumachen.
Bei der Karlsruher Bahnhofsmission arbeiten vier Hauptamtliche und 30 Ehrenamtliche. Das klingt viel, reicht aber aktuell nur knapp: „Wir haben ja zwei Schichten, die wir mit den Ehrenamtlichen abdecken müssen“, ordnet Höhn ein. Eine Schicht dauert fünf Stunden. Neben Schulungen und Dienstbesprechungen stehen für die Ehrenamtlichen auch Supervisionen auf der Tagesordnung. Das Karlsruher Team setzt sich aus Personen aller Lebenssituationen zusammen: Von Studenten bis hin zu Rentnern packen alle mit an.
Als Ehrenamtlicher in der Bahnhofsmission sollte man vor allem belastbar sein. „Es kann schon zu Situationen kommen, die einem zu Herzen gehen und da sollte man dann Festigkeit aufweisen“, so Höhn. Wer diese Eigenschaften nicht aufweist und trotzdem gerne helfen möchte, könne sich durch Geld- und Sachspenden einbringen. „Von Schlafsäcken bis hin zu Kaffee brauchen wir alles“, so die Leitern der Karlsruher Bahnhofsmission. „Aber bei Sachspenden ist es sinnvoll, vorher bei uns nachzufragen, was die am dringendsten benötigen, das variiert.“