Stuttgart (dpa/jb) – Die Mafia ist Mythos, viele kennen sie nur aus dem Kino. Aber die Bedrohung ist real – auch im Südwesten. Baden-Württemberg gilt als Hochburg. Wie groß ist die Gefahr?
Der Präsident des Landeskriminalamts, Andreas Stenger, geht von einer hohen Dunkelziffer an Mafiosi in Baden-Württemberg aus. „Ich glaube schon, dass es auch ein beachtliches Dunkelfeld gibt von Leuten, die wir nicht in unserem System gelistet haben“, sagte Stenger der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Rund 170 mögliche Mafiosi in Baden-Württemberg sind den Ermittlern aktuell im Südwesten bekannt. Auch für den Mafia-Kenner Sandro Mattioli ist diese Zahl deutlich zu niedrig gegriffen. Er will keine konkrete Zahl schätzen, spricht aber von mehreren Hundert im Land. Mattioli ist der Vorsitzende des Vereins mafianeindanke. „Ich habe den Eindruck, dass es im Land doch sehr viel mehr Mafiapräsenzen gibt als gedacht.“
Wie das Innenministerium im vergangenen Jahr berichtete, lebten knapp ein Viertel der Angehörigen der italienischen organisierten Kriminalität in Deutschland in Baden-Württemberg. Das wird auf die geografische Nähe zu Italien zurückgeführt, aber auch auf die Wirtschaftskraft des Bundeslandes, die Verbrecher lockt. Das Spektrum der Straftaten reicht von Betrug über Drogenhandel und Waffendelikten bis zur Geldwäsche.
Man habe die 170 Personen auf dem Radar, könne sie aber schon aus rechtlichen Gründen nicht durchgängig bewachen, sagt LKA-Chef Stenger. Derzeit verfügt laut seiner Behörde noch eine Person dieser Gruppe über einen kleinen Waffenschein. Hier laufe aber bereits das Widerrufsverfahren. „Wenn wir mitbekommen, dass da einer den kleinen oder großen Waffenschein hat, dann schreiben wir das konsequent der Waffenbehörde und regen ein Waffenverbot im Einzelfall an“, sagt Stenger. „Die in legalem Besitz befindlichen Waffen sind ja nicht das Problem, sondern das, was an illegalen Waffen unterwegs ist.“
Das Problem sei, so Stenger, dass die Mafia im Verborgenen agiere. „Das Wesensmerkmal der Mafia ist ihre Unauffälligkeit. Die wollen sich unterhalb des Radars bewegen.“ In dieser Unauffälligkeit liege auch die Gefahr. „Die sind natürlich ein Querschnitt der Gesellschaft“, sagt Stenger. „Das ist nicht der Klischee-Pizzabäcker und Eisdielen-Betreiber, sondern das sind Menschen, die in ganz anderen Kontexten leben.“
Im August 2023 etwa nahm die Polizei einen Italiener in Bad Urach im Kreis Reutlingen fest, vier Jahre lebte der Angestellte dort mit seiner Familie und verhielt sich völlig unauffällig. Im Jahr 2000 soll er mit anderen Mitgliedern einen Angehörigen eines rivalisierenden ‚Ndrangheta-Clans in einer Kleinstadt in Kalabrien in einen Hinterhalt gelockt haben. Das Opfer wurde durch einen Kopfschuss getötet. Bei diesem Mord soll es sich um eine Racheaktion für ein anderes Tötungsdelikt gehandelt haben, wie es hieß.
Kaum kommt es hierzulande unter Mafiosi zu öffentlichen Gewaltausbrüchen wie bei den rivalisierenden Banden im Großraum Stuttgart. „Bei der Mafia geht es um Einflussnahme, Machtanspruch, um Unterwandern von Wirtschaftskreisläufen. Das ist eine ganz andere Gefahr“, warnt LKA-Präsident Stenger. Die Mafia unterwandere die Gesellschaft und nehme Einfluss auf das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Leben. Wenn die Integrität von Wirtschaftsprozessen nicht mehr gewährleistet sei, wirke sich das auch negativ auf das Leben der Bürger aus, betont Stenger.
„Die Mitglieder der ‚Ndrangheta agieren sehr geschickt und unauffällig. Sie stellen ein Risiko dar, auf das wir nicht vorbereitet sind. „Aus seiner Sicht ist die Mafia im Südwesten sogar auf dem Vormarsch, breitet sich derzeit immer weiter auch in ländlichen Gegenden aus, knüpft Kontakte, baut Geschäfte aus. „Sie müssen nur den Sportverein sponsern, schon sind Sie bestens verdrahtet in der Gemeinschaft.“
Die Behörden haben aus Mattiolis Sicht in der Vergangenheit im Kampf gegen die Mafia versagt. „Lange Zeit sind die Behörden nicht engagiert genug gegen die organisierte Kriminalität vorgegangen“, sagt der Aktivist. „Es gab relativ krasse Unterlassungen.“ So sei Hinweisen mitunter nicht nachgegangen worden. „Die ‚Ndrangheta hatte in der Vergangenheit nicht viel zu befürchten.“ Aus Mattiolis Sicht wird der Kampf gegen die Mafia in Deutschland nach wie vor nicht ernst genug genommen. „Wir müssen von oben herunter ein Klima schaffen, das anregt, dass die Mafia stärker bekämpft wird. Wir müssen das Thema politisch ernst nehmen.“
„Wir unterschätzen das überhaupt nicht“, erklärt LKA-Chef Stenger. „Wir sehen, dass die Mafia leise und im Stillen wirkt, und wir arbeiten sehr intensiv dagegen.“ Das Phänomen Mafia müsse europäisch und international gedacht werden. Man sei mit den italienischen Behörden in kontinuierlichem Austausch. Stenger verweist aber auch auf zum Teil unterschiedliche Rechtssysteme und unterschiedliche normative, legislative Voraussetzungen etwa von Deutschland und Italien.