Stuttgart (dpa/mt) – Angesichts der nach wie vor stockenden finanziellen Hilfen für die Tourismusbranche kritisiert Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Zahlungsmoral des Bundes. „Es war ein klares Versprechen, das unbürokratisch und schnell zu machen“, sagte der Regierungschef am Dienstag in Stuttgart. „Und wir sind wenig erfreut, wie das jetzt in der Praxis läuft. So geht’s wirklich nicht.“ Sollte über eine Verlängerung der Corona-Auflagen auch für Reisen und die Gastronomie nachgedacht werden, müsse die Frage der Finanzierung der angeschlagenen Unternehmen bei den kommenden Gesprächen von Bund und Ländern beantwortet werden.
Angesichts der Corona-Pandemie ist der Tourismus in Baden-Württemberg nach neun Rekordjahren in Folge weiter eingebrochen. „Alleine zwischen März und Mai musste die Tourismusbranche in Baden-Württemberg wöchentliche Umsatzeinbußen von rund 426 Millionen Euro hinnehmen“, sagte Tourismusminister Guido Wolf (CDU). Der Sommer habe nirgends gereicht, um diese Zahlen aufzuholen. „Und mit dem aktuellen November und den folgenden Wochen stehen noch harte Zeiten bevor.“
Wolf warf vor allem dem Bund vor, sich die Akzeptanz der Betriebe „erkauft“ zu haben. „Ich empfinde es als mehr als ärgerlich, dass bis zum heutigen Tag weder Geld geflossen ist, noch die Modalitäten für die Auszahlung dieser Gelder klar definiert sind“, sagte der CDU-Landesminister. „Da schwindet Akzeptanz“, warnte er. „Da geht Vertrauen verloren.“ Die Zahlungen an die Betriebe seien aus seiner Sicht als Justizminister zudem zwingend, um rechtlich abgesichert die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs für die Branche zu begründen. „Da reicht nicht die politische Zusage, sondern da muss Geld fließen. Und zwar schnell.“
Neben Betrieben aus anderen Branchen müssen wegen der bundesweit anhaltenden Zunahme von Corona-Infektionen auch Hotels und andere Beherbergungsstätten seit Monatsbeginn ihre Arbeit weitgehend einstellen – wohl mindestens bis Ende November, sehr wahrscheinlich länger. Als Entschädigung sollen betroffene Unternehmen mit einer außerordentlichen Wirtschaftshilfe des Bundes Zuschüsse von 75 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes im Vorjahres-November erhalten. Erste Gelder sollen laut Bund ab Ende des Monats ausgezahlt werden. Geplant seien zunächst Abschlagszahlungen.
In der Zeit nach dem befristeten Teil-Lockdown und nach den Einschränkungen für Reisen und Gaststätten will das Land der gebeutelten Branche mit einem weiteren millionenschweren Finanzierungspaket so schnell wie möglich auf die Beine helfen. Das Tourismusministerium will bis zu 12 Millionen Euro in die Betriebe investieren. Zielgruppe seien ausschließlich kleine und mittlere Unternehmen, sagte Wolf. Investiert werden könne das Geld über günstige oder verbilligte Darlehen bei Gebäudemodernisierungen, Neubauten oder Betriebsübernahmen.
Außerdem wird es laut Ministerium eine Stabilisierungshilfe für kommunale Thermen in Höhe von 15 Millionen Euro geben, weil diese nach Angaben Wolfs bislang durch die Raster sämtlicher Hilfsprogramme gefallen sind. Die Thermen hatten sich zuletzt alarmiert gezeigt und gewarnt, ohne massive finanzielle Unterstützung drohe ein Sterben der Standorte, darunter 35 mit Thermal- und Mineralbädern. Die Thermen verzeichnen laut Verband coronabedingte Umsatzverluste von insgesamt über 52 Millionen Euro. Mit jedem weiteren Monat Schließung sei mit jeweils 17 Millionen Euro Einbußen zu rechnen, sagte Verbandspräsident Fritz Link. Bereits damals hatte er aber erklärt, die von der Landesregierung zur Unterstützung vorgesehenen 15 Millionen Euro könnten nur die erste Tranche sein.
Ebenfalls vom Land im Paket bereitgestellt werden Mittel für das Marketing im Inland und grenznahen Ausland in Höhe von bis zu 8 Millionen Euro. „Ziel ist es, dass die Übernachtungs- und Ankunftszahlen im Tourismus baldmöglichst wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreichen“, sagte der Minister. Es gehe jetzt darum, Perspektiven zu schaffen. Auch das Wissenschaftsministerium ist mit einem Projekt eingebunden. Darin sollen Studenten nach ihrem Abschluss für eine Übergangszeit ein Beschäftigungsverhältnis an den Hochschulen erhalten, um von dort aus Unternehmen der Tourismusbranche bei Projekten zu unterstützen. In Baden-Württemberg hängen nach Ministeriumsangaben insgesamt etwa 390 000 Arbeitsplätze von der Tourismus-Branche ab, die zuletzt einen jährlichen Umsatz von mehr als 25 Milliarden Euro verzeichnete.